120 1. 2. Revolution und Fremdherrschaft.
Volkes sich so herrlich zu bewähren schien und das Ausland bewundernd
nach der Hauptstadt der Welt blickte, meinte man sich berufen der weiten
Erde Gesetze zu geben. Die Nation war gewöhnt jedes fremde Recht zu
mißachten, sie wähnte, daß ihre Bildung noch immer der ganzen Welt
zum Muster diene, wie einst in dem Zeitalter Ludwig's XIV.; von der
neuen eigenartigen Cultur, die in Deutschland erwacht war, wußte sie
nichts. Schon die Erklärung der Menschenrechte erhob den anmaßenden
Anspruch allen Völkern als Richtschnur zu gelten, und Lafayette begrüßte
die neue Tricolore mit der Weissagung, sie werde die Runde um den
Erdkreis machen. Seitdem wuchs die Macht der revolutionären Propa—
ganda; die innere Zerrüttung aller Nachbarlande, Italiens und Spaniens,
Hollands und Belgiens, der Schweiz und der deutschen Kleinstaaten ver—
sprach ihr leichte Beute. Ein Weltkampf, wie ihn Europa seit den Tagen
der Religionskriege nicht mehr gesehen, war im Anzuge, wenn alle die
gräßliche Fäulniß, die sich unter der Bourbonenherrschaft in Frankreich
angesammelt, die Sittenlosigkeit der höheren, die rohe Unwissenheit der
niederen Stände, und mit ihr zugleich die dämonische Macht der Ge—
danken eines neuen Zeitalters über diese wehrlose Staatenwelt verheerend
hereinflutheten.
Bereits war der erste Schlag gegen die Rechte des deutschen Reichs
gefallen: die Reichsstände im Elsaß wurden ihrer grundherrlichen Rechte,
die Kirchenfürsten ihrer geistlichen Güter beraubt, offenkundigen Verträgen
zuwider, des Reiches ungefragt. So trat die alte große Machtfrage, die
zwischen den beiden Nachbarvölkern schwebte, der niemals völlig ausge—
tragene Kampf um die rheinischen Lande in wunderlich verzerrter Gestalt
abermals an Deutschland heran. Die Nothwendigkeit des Gewaltstreiches
ließ sich nicht schlechthin bestreiten; Jedermann kannte die trostlose Lage
jener unglücklichen Elsasser Bauern, die zugleich der Krone Frankreich
Steuern und den kleinen deutschen Herren Lehensabgaben zu leisten
hatten; erst durch diese befreiende That der Revolution wurden die Her-
zen des Landvolks in dem deutschen Lande ganz für Frankreich gewonnen.
Sollte Preußen, sollten die verständigen weltlichen Reichsfürsten, die selber
mit dem Kirchengute längst aufgeräumt hatten und bedachtsam an der
Befreiung ihrer Bauern arbeiteten, jetzt mit den Waffen eintreten für
die Zehnten der Bischöfe von Trier und Speyer, für die Herrengerichte
der Wurmser und Leiningen, für dies Gewimmel kleiner Fürsten und
Herren, das am Reichstage gehorsam in omnibus Sicut Austria stimmte
und im Norden nur mit Achselzucken angesehen wurde? Der Kampf gegen
Frankreich konnte leicht zu einem Principienkriege gegen die Revolution
werden, denn der Radicalismus des Krieges duldet keine Mittelstellung.
Die Emigranten schürten und drängten an allen Höfen; fuhr das Schwert
aus der Scheide, so lag die Gefahr nahe, daß diese geschworenen Feinde
der Revolution die Oberhand gewannen und die deutschen Mächte fort-