Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

120 1. 2. Revolution und Fremdherrschaft. 
Volkes sich so herrlich zu bewähren schien und das Ausland bewundernd 
nach der Hauptstadt der Welt blickte, meinte man sich berufen der weiten 
Erde Gesetze zu geben. Die Nation war gewöhnt jedes fremde Recht zu 
mißachten, sie wähnte, daß ihre Bildung noch immer der ganzen Welt 
zum Muster diene, wie einst in dem Zeitalter Ludwig's XIV.; von der 
neuen eigenartigen Cultur, die in Deutschland erwacht war, wußte sie 
nichts. Schon die Erklärung der Menschenrechte erhob den anmaßenden 
Anspruch allen Völkern als Richtschnur zu gelten, und Lafayette begrüßte 
die neue Tricolore mit der Weissagung, sie werde die Runde um den 
Erdkreis machen. Seitdem wuchs die Macht der revolutionären Propa— 
ganda; die innere Zerrüttung aller Nachbarlande, Italiens und Spaniens, 
Hollands und Belgiens, der Schweiz und der deutschen Kleinstaaten ver— 
sprach ihr leichte Beute. Ein Weltkampf, wie ihn Europa seit den Tagen 
der Religionskriege nicht mehr gesehen, war im Anzuge, wenn alle die 
gräßliche Fäulniß, die sich unter der Bourbonenherrschaft in Frankreich 
angesammelt, die Sittenlosigkeit der höheren, die rohe Unwissenheit der 
niederen Stände, und mit ihr zugleich die dämonische Macht der Ge— 
danken eines neuen Zeitalters über diese wehrlose Staatenwelt verheerend 
hereinflutheten. 
Bereits war der erste Schlag gegen die Rechte des deutschen Reichs 
gefallen: die Reichsstände im Elsaß wurden ihrer grundherrlichen Rechte, 
die Kirchenfürsten ihrer geistlichen Güter beraubt, offenkundigen Verträgen 
zuwider, des Reiches ungefragt. So trat die alte große Machtfrage, die 
zwischen den beiden Nachbarvölkern schwebte, der niemals völlig ausge— 
tragene Kampf um die rheinischen Lande in wunderlich verzerrter Gestalt 
abermals an Deutschland heran. Die Nothwendigkeit des Gewaltstreiches 
ließ sich nicht schlechthin bestreiten; Jedermann kannte die trostlose Lage 
jener unglücklichen Elsasser Bauern, die zugleich der Krone Frankreich 
Steuern und den kleinen deutschen Herren Lehensabgaben zu leisten 
hatten; erst durch diese befreiende That der Revolution wurden die Her- 
zen des Landvolks in dem deutschen Lande ganz für Frankreich gewonnen. 
Sollte Preußen, sollten die verständigen weltlichen Reichsfürsten, die selber 
mit dem Kirchengute längst aufgeräumt hatten und bedachtsam an der 
Befreiung ihrer Bauern arbeiteten, jetzt mit den Waffen eintreten für 
die Zehnten der Bischöfe von Trier und Speyer, für die Herrengerichte 
der Wurmser und Leiningen, für dies Gewimmel kleiner Fürsten und 
Herren, das am Reichstage gehorsam in omnibus Sicut Austria stimmte 
und im Norden nur mit Achselzucken angesehen wurde? Der Kampf gegen 
Frankreich konnte leicht zu einem Principienkriege gegen die Revolution 
werden, denn der Radicalismus des Krieges duldet keine Mittelstellung. 
Die Emigranten schürten und drängten an allen Höfen; fuhr das Schwert 
aus der Scheide, so lag die Gefahr nahe, daß diese geschworenen Feinde 
der Revolution die Oberhand gewannen und die deutschen Mächte fort-
	        
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