Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

174 I. 2. Revolution und Fremdherrschaft. 
bestanden, und dazu manche andere politische Reformen, deren das übrige 
Deutschland noch entbehrte. Durch sie lernte das staat= und waffen- 
lose Volk der Krummstabslande zum ersten male den Kriegsruhm und 
das Selbstgefühl eines großen Gemeinwesens kennen. 
Die durcheinander gewürfelten Gebiete von 97 Bischöfen, Aebten, 
Fürsten, Grafen und Reichsständen und einer ungezählten Schaar Reichs- 
ritter wurden zu vier wohlabgerundeten Departements zusammengeschlagen. 
Eine strenge Polizei jagte die Banden des Schinderhannes auseinander, 
brachte den Gebirgslanden der Eifel und des Hunsrückens einen Zustand 
friedlicher Sicherheit, den die Zeiten kleinstaatlicher Ohnmacht nie gekannt. 
Die Aufhebung der Leibeigenschaft wollte hier in den Landen alter Bauern- 
freiheit wenig bedeuten. Um so tiefer und heilsamer wirkte die Beseitigung 
der feudalen Lasten und der hohen Kirchenzehnten, vornehmlich aber der 
Verkauf der Nationalgüter; auf den Trümmern der alten geistlichen Lati- 
fundien enstand ein neuer wohlhäbiger Kleingrundbesitz. Die Thore des 
Bonner Ghettos thaten sich auf, die Protestanten von Köln und Aachen 
erbauten sich ihre ersten Kirchen. Die öffentliche Rechtspflege der Schwur- 
gerichtshöfe verdrängte jene ungeheuerlichen Proceßformen, welche vordem 
von den dreizehn Gerichten der guten Stadt Köln, von den zahllosen Tribu- 
nalen geistlicher und weltlicher Gerichtsherren gehandhabt wurden. Statt 
der verschwiegerten und verschwägerten Herren vom Rathe, denen das Volk 
den Spottnamen des Kölnischen Klüngels anhing, statt der hochedlen und 
hochweisen Patricier, die einst „das Reich von Aachen“ beherrschten, ge- 
boten jetzt überall die Präfecten und die Maires, des ersten Consuls 
unterthänige Diener. Jede Selbständigkeit der Gemeinden war dahin; doch 
die neue Beamtenregierung zeigte sich nicht nur rühriger, sondern auch 
ehrlicher und gerechter als die alte Vetternherrschaft. 
Wohl vertheidigten die Rheinländer ihre deutsche Sprache und Sitte 
mit zähem Widerstande gegen alle Versuche gewaltsamer Verwälschung. 
Die willkürliche Unnatur der neuen Flußgrenze wurde schwer empfunden; 
überall den Strom entlang führte das Volk den kleinen Krieg gegen die 
verhaßten Zollwächter, und ließ sich den nachbarlichen Umgang mit den 
rechtsrheinischen Landsleuten nicht verbieten. Man spürte jedoch bald, mit 
wie festen Banden ein kräftiger Staat seine Glieder zusammenhält. Der 
freie Handel mit dem weiten westlichen Hinterlande, die Vernichtung der 
alten Zunft= und Bannrechte rief neue gewerbliche Unternehmungen, neue 
Verkehrsverhältnisse hervor; das gute Frankengeld, das seit Bonaparte's 
Beutezügen und Finanzreformen in Frankreich umlief, sah sich doch anders 
an, als die Petermännchen und Kastemännchen und das andere bunte 
Münzengewirr der bischöflichen Tage. Die Stämme am Mittel= und 
Niederrhein sind niemals so mit ganzem Herzen französisch geworden wie 
das Soldatenvolk des Elsasses; der wachsende Steuerdruck und die furcht- 
baren Menschenopfer der napoleonischen Kriege ließen, trotz der Befreiung
	        
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