220 I. 2. Revolution und Fremdherrschaft.
Unter den zahlreichen Mißgriffen der ungeduldig dahinstürmenden
russischen Politik rächte sich keiner so schwer, wie die übermüthige Gering-
schätzung gegen Preußen. Der zu Memel geschlossene Freundschaftsbund
wurde jetzt zum ersten male gestört durch die polnischen Pläne des Czaren,
die seitdem für das gute Einvernehmen der beiden Nachbarmächte noch
auf lange hinaus bedrohlich blieben. Erzogen in den Anschauungen der
modischen Aufklärung hatte Alexander von früh auf, wie sein Lehrer
Laharpe, die Theilung Polens mit dem Bilicke des französischen Philo-
sophen betrachtet. Er sah in der furchtbaren Katastrophe nicht eine un-
erbittliche historische Nothwendigkeit, sondern eine schlechthin bejammerns-
werthe Gewaltthat, die Rechtfertigung aller Gräuel der Revolution. Der
Gedanke, diese blutbefleckte Erbschaft aus den Händen seiner Großmutter
empfangen zu müssen, lastete schwer auf seinem schwachen Gemüthe. In
solcher Stimmung lernte er noch als Großfürst den Prinzen Adam Czar-
toryski kennen, den Sohn jenes alten Fürsten, den eine polnische Adels-
partei als ihren König Adam I. feierte. Unwiderstehlich trat der gewandte
Pole dem Cezarensohne entgegen, geistreich, hochgebildet, an Jahren und
Welterfahrung dem Großfürsten überlegen, ein Meister in den Künsten
sarmatischer Schmeichelei und Schmiegsamkeit; den Fremden erschien er
gleich einem irrenden Ritter, der sein verlorenes Vaterland sucht, verklärt
und geadelt durch einen Hauch patriotischer Schwermuth. Viele Jahre
lang haben die beiden Freunde nunmehr selbander tief geheime Entwürfe
geschmiedet, wie die Unthat Katharina's zu fsühnen und Polen wieder
herzustellen sei. In Alexander's Geiste lag die Berechnung dicht neben
der Gefühlsseligkeit, seine menschenfreundlichen Absichten stimmten stets
genau mit seinem persönlichen Vortheil überein; wenn er von der Be-
freiung Polens träumte, so sah er bereits die Krone der Jagiellonen auf
seinem eigenen Haupte glänzen.
Czartoryski verfolgte seine sarmatischen Pläne mit einer Dreistigkeit,
die jedem Russen als Landesverrath erscheinen mußte, und mißbrauchte
sein Amt als Curator der Universität Wilna um die polnisch-katholische
Bildung, den Todhaß wider die Russen zu pflegen. Jetzt, da ihm die
Leitung der auswärtigen Angelegenheiten anvertraut wurde, begrüßte er
den Krieg der Coalition als ein willkommenes Mittel um Preußen auf
Napoleon's Seite hinüberzudrängen und dann den gehaßten Nachbarstaat
seiner polnischen Provinzen zu berauben. Man wußte, daß die polnischen
Patrioten noch immer hoffnungsvoll auf ihren alten Bundesgenossen
Frankreich blickten. Jahrelang hatte eine polnische Legion unter dem
Banner der Tricolore gefochten; Napoleon überlegte bereits, wie sich dies
unglückliche Volk als eine Waffe gegen die Ostmächte gebrauchen ließe.
Darum rieth Czartoryski, der Czar möge den Franzosen zuvorkommen
und selber die Freiheit Polens ausrufen. Der polnische Leichtsinn traute
sich's zu den Krieg gegen Preußen nebenbei mit abzuthun; Oesterreich