336 I. 3. Preußens Erhebung.
weiblicher Empfänglichkeit und schöpferischer Manneskraft. Dieselbe Ge—
nialität des Verstehens und Urtheilens machte ihn nachher zum Liebling
des römischen Volks, da er jahrelang als preußischer Gesandter, ein
Hellene unter Römern lebte und auf den Bergen von Albano den Aeschy—
los und Pindar übersetzte. Nach und nach ward er sich auch der pro—
ductiven Kräfte seines Geistes bewußt und begann mit seinen baskischen
Forschungen jene Studien der Sprachvergleichung, die ihm dienen sollten
„das Höchste und Tiefste und die Mannigfaltigkeit der ganzen Welt zu
durchfahren“, den Schlüssel zu finden zu dem Gemüthsleben der Bölker.
Mit diesem kühnen Idealismus verband Humboldt jedoch von früh
auf ein sicheres Verständniß für die harten Thatsachen des historischen
Lebens. Die französische Revolution widerte ihn an, weil er es für einen
Frevel hielt den Staat allein aus der Vernunft heraus aufzubauen; die
Friedensseligkeit der Epoche bethörte ihn nicht, denn der Krieg sei eines
der heilsamsten Mittel zur Erziehung des Menschengeschlechts. Dem Histo-
riker stellte er die Aufgabe, daß er sich immer durch Ideen regieren lasse
und doch nicht in das Gebiet bloßer Ideen hinüberschweife. Mitten in
der ästhetischen Schwelgerei seiner römischen Jahre packte ihn oft die
Sehnsucht nach den herzerhebenden Klängen der Muttersprache; er liebte
das deutsche Volk als den gottbegnadeten Träger der neuen europäischen
Cultur und weissagte ihm eine vergeltende Zeit, „wo es dem Folge-
geschlecht zeichnet die leuchtende Bahn.“ So war es denn eine innere
Nothwendigkeit, daß auch ihn endlich die mächtige politische Strömung
jener Tage berührte. Das Pflichtgefühl des Patrioten und der Drang nach
allseitiger Bethätigung seiner Kräfte bewogen ihn dem Staate zu dienen, der
ihm einst nur als der lästige Vormund der freien Geselligkeit erschienen war.
Seine Natur war nicht für alle Aufgaben des praktischen Staats-
mannes geschaffen. Ein tiefer politischer Denker wie Hugo Grotius, wurde
Humboldt wie dieser im diplomatischen Kampfe von vielen kleineren Köpfen
übertroffen, weil ihm der grobe Ehrgeiz des Mannes der That und die
Freude an den tausend nothwendigen Nichtigkeiten des Gesandtenberufes
fehlte. Er war zu groß für einen Diplomaten. Wo die Politik in die
Welt der Ideale hineinragte, da zeigte sich die lautere Hoheit seines
Sinnes, die Thatkraft seines Humanismus. Von ganz anderen Aus-
gangspunkten her gelangte er zu derselben Ansicht von der Selbstverwal-
tung wie Stein; er verehrte den Schöpfer der Städteordnung, weil er
in der freien Bewegung der Gemeinden die Schule sah zur Erziehung
sittlicher, thatkräftiger Menschen. Doch die dürre Prosa der internationa-
len Machtfragen ließ ihn völlig kalt. Seine diplomatischen Denkschriften
sind allesammt zu breit und zu scharfsinnig. Sein reicher Geist ergeht
sich oft zwecklos im Genusse seiner eigenen Klarheit, wendet den Gegen-
stand nach allen Seiten hin und her und findet kein Ende, sieht den
Wald vor lauter Bäumen nicht; ihm gebricht jene Lust am Handeln,