358 I. 3. Preußens Erhebung.
paritätischen Landstrich, nach Nürnberg oder Augsburg zu verlegen. Die
Residenz blieb in München, und die Hauptstadt übte auf die Provinzen
einen schädlichen Einfluß. Das Bier, das den Altbaiern, nach dem Ge-
ständniß ihres gestrengen Criminalisten Kreittmayr, das fünfte Element des
Lebens bildete, hielt seinen Siegeszug durch das ganze Land; die rührigen
Schwaben und Franken nahmen bald Vieles an von der bequemen, läßlichen
Sinnlichkeit der Altbaiern. Diese reichbegabten Stämme kamen langsam
herab in ihrem geistigen Leben, sie haben unter bairischem Scepter nie-
mals wieder so Großes für die deutsche Cultur geleistet wie einst in den
Zeiten ihres reichsstädtischen Glanzes. Für die altbairischen Lande dagegen
wurde das Zusammenleben mit den geistreicheren aufgeweckten Nachbarn
ein unermeßlicher Segen.
Die Person des Landesherrn war in diesem patriarchalischen Volke
von jeher eine lebendige Macht; so recht aus Herzensgrunde begrüßten
die Münchener Bürger den vergnüglich mit den Augen zwinkernden neuen
Herrscher: na Maxl, weil nur du da bist! Wie horchte das Volk auf,
als man vernahm, daß die Gemahlin des lustigen Max, die edle
Prinzessin Karoline von Baden, eine Ketzerin sei, als dann der wackere
Cabinetsprediger Schmitt, zuerst bescheiden im Nymphenburger Schlosse,
nachher öffentlich in der Hauptstadt evangelischen Gottesdienst hielt und
Lutheranern wie Reformirten die Sacramentsgemeinschaft gewährte. Das
hatte man nicht mehr erlebt, seit der Eroberer Gustav Adolf in der
Residenz der Wittelsbacher gehaust. Dann kam eine Menge protestan-
tischer Beamter in's Land, darunter manche Heißsporne der Auf-
klärung wie Anselm Feuerbach. Die Gleichberechtigung der Confessionen
wurde verkündigt, und was das Wichtigste war, das Schulwesen der Auf-
sicht des Staates unterworfen. Dem Feuereifer des Illuminaten Montgelas
war damit noch nicht genug geschehen; er haßte „das Schamanenthum“
der römischen Kirche und die fromme Einfalt des altbairischen Volkes,
dem er immer ein Fremder blieb. Eine Menge von Klöstern wurde ge-
schlossen, hunderte von Kirchen ausgeräumt und ihr alter Schmuck unter
den Hammer gebracht. Es war ein radicaler Umsturz, herzlose Frivolität
und brutaler Hochmuth führten das große Wort; doch mildere Hände
hätten den Bann der Glaubenseinheit, der über diesem Lande lag, nicht
gebrochen. Ein tiefeingreifendes Gesetz jagte das andere; die Leibeigenschaft
fiel, die Ablösung der bäuerlichen Lasten und Zehnten ward ausgesprochen,
indeß blieben, Dank der fieberischen Hast der Regierung, die meisten dieser
mit lärmender Prahlerei angekündigten Reformen unausgeführt. Auch
den neuen Landtag wagte der mißtrauische Minister niemals einzuberufen,
obgleich diesem sonderbaren Parlamente nur das Recht zustehen sollte,
durch drei Commissäre seine Ansichten auszusprechen und dann schweigsam
über die Vorlagen der Regierung abzustimmen. Von den neuen Insti-
tutionen stand nichts fest als das Conscriptionsheer und die Allmacht des