362 I. 3. Preußens Erhebung.
kleinlichsten Mittel nicht, um sich den Gehorsam des sächsischen Hofes zu
sichern; jahrelang hielt er die albertinische Eitelkeit hin durch unbestimmte
Andeutungen, als würde er vielleicht die Tochter des Königs heirathen.
Friedrich August folgte den Befehlen des Protectors fast noch unter-
würfiger als seine Genossen in München und Stuttgart, er ließ in Warschau
den Code Napoleon und den ganzen Mechanismus der französischen
Präfectenverwaltung einführen. Doch seinen sächsischen Ständen gegen-
über wagte er nichts: weder die Aufhebung der Vorrechte des Adels noch
die staatsrechtliche Vereinigung der Erblande mit der Lausitz und den
stiftischen Nebenlanden. Der unförmliche Bau des altständischen Staats-
wesens blieb unwandelbar aufrecht, desgleichen die weltberühmte steife
Etikette des Hofes, also daß der Emporkömmling Jerome seinem Ge-
sandten Dohm die Weisung gab, hier in Dresden an erster Quelle die
Geheimnisse des Ceremoniells zu studiren und ausführlich darüber zu
berichten. Unter den alteingesessenen Herren des Nordens hat nur einer
seinen Staat in napoleonische Formen umgegossen: der närrische Herzog
von Coethen. Der ruhte nicht, bis sein Reich in zwei Departements
getheilt, mit einem Staatsrathe, Präfecten, Unterpräfecten und dem „heil-
bringenden“ Code gesegnet war: alle diese Herrlichkeiten verkündete das
neue Bulletin des lois de I'Empire Anhaltin-Coethien.
Den beiden Napoleoniden, welche inmitten dieser hochconservativen
norddeutschen Welt ihre Throne aufrichteten, war eine revolutionäre
Politik durch die Natur der Dinge geboten. Hier, in „Staaten ohne Ver-
gangenheit" — wie der westphälische Minister Malchus sich wohlgefällig
ausdrückte — lag kein Grund vor alte Ueberlieferungen zu schonen, hier
konnte Alles, was bestand, kurzerhand nach der Schablone der napoleo-
nischen constitution réguliere umgeformt werden. In Westphalen wie
in Berg begann die Neugestaltung unter der Oberaufsicht des Imperators
selber; beiden Vasallen schärfte er ein, sie sollten durch die Zerstörung
aller Privilegien dahin wirken, daß die norddeutschen Nachbarn, nament-
lich die Preußen, sich nach der napoleonischen Herrschaft sehnten. In der
That galt das Staatsrecht des Königreichs Westphalen nicht bloß im
Rheinbunde, sondern auch bei einem Theile der preußischen Patrioten als
eine Musterverfassung. Wie stattlich erhob sich hier die Krone mit ihrem
Scheinparlamente hoch über der eingeebneten, von allen Standesvorrechten
völlig befreiten Gesellschaft; und zudem die Schlagfertigkeit der Präfecten,
die raschere Rechtspflege, die ungewohnte Höflichkeit der meisten Beamten,
die Beseitigung der Binnenmauthen, die Aufhebung der Leibeigenschaft,
der Patrimonialgerichte und der gutsherrlichen Gewalt! Die neue Herr-
schaft wußte sich viel mit ihrer Bauernfreundlichkeit. Nicht einmal die
Namen der alten ständischen Gliederung des flachen Landes ließ sie mehr
gelten; das altgermanische Kothsasse schien den aufgeklärten Räthen des
Königs schon darum anstößig, weil sie das Wort von Koth ableiteten.