Knesebeck in Kalisch. 423
niemals viel gefragt; geistreiche Ausländer blieben ihm der liebste Umgang.
Auch das Mißtrauen der Polen beirrte ihn nicht; das überschwängliche
Glück, das er ihnen zudachte, mußte ihren Starrsinn brechen, wollte er
doch sogar die längst mit Rußland vereinigten litthauischen Provinzen von
dem Czarenreiche abtrennen und der constitutionellen Krone des weißen
Adlers unterwerfen. Grenzenlos erschien ihm jetzt die Macht seines Reiches;
„ich weiß es wohl,“ sagte er später zu seiner Rechtfertigung, „Rußlands Ueber-
macht beginnt für Europa gefährlich zu werden; um diese Gefahr zu be-
seitigen will ich Polen zu einem selbständigen Staate erheben.“ Für jetzt
aber mußten diese glänzenden Entwürfe vor aller Welt geheim gehalten
werden. Der polnische Freund durfte nicht im kaiserlichen Hauptquartier
erscheinen; denn „die Kunde von unseren Plänen“, schrieb der Czar, „würde
Oesterreich und Preußen sofort in Frankreichs Arme treiben."
Noch mehrere Monate später, als die beiden Monarchen schon viele
Wochen lang zusammen im Feldlager gewesen, klagte König Friedrich Wil-
helm, er habe trotz wiederholter Fragen von Alexander niemals etwas Be-
stimmtes über seine politischen Absichten erfahren können; und der Hanno-
veraner Ompteda, ein scharfer Beobachter und gründlicher Kenner der
Höfe, schrieb noch zu Ende Juni völlig unbesorgt: Fürst Anton Radziwill
und die anderen polnischen Patrioten, die den Czaren umlagerten, würden
sicherlich eine schlechte Aufnahme finden. Das Geheimniß blieb gewahrt.
Der preußische Hof ahnte vorderhand noch gar nichts von der drohenden
Wiederherstellung Polens; er konnte aus den Nachrichten über den Gang
der Kalischer Verhandlungen nur den Schluß ziehen, der Czar wünsche
einen Theil des Herzogthums Warschau dem russischen Reiche einzuver-
leiben. Er stand mithin vor der Frage: ob man den Krieg gegen Napo-
leon wagen dürfe auf die Gefahr hin, beim Friedensschlusse das Vorrücken
Rußlands gen Westen und eine schlecht gesicherte deutsche Ostgrenze hin-
nehmen zu müssen?
Für den schlichten Verstand des Königs war diese Frage längst keine
Frage mehr. Er kannte die polnische Treue. „Danke schön; schon genug
haben von dieser Sorte“ — pflegte er ärgerlich zu sagen. In dem Augen-
blicke, da man die Deutschen zu der Befreiung des Vaterlandes aufrufen
wollte, durfte eine verständige preußische Staatskunft wahrhaftig nicht jenen
unheilvollen slawischen Besitz vollständig zurück fordern. Jeder Strich nord-
deutschen Landes, den man gegen Warschau, Pultusk und Plock eintauschte,
war ein offenbarer Gewinn für die nationale Politik, die man endlich
wieder ausgenommen. Nur die Landstriche um Posen und Gnesen, das
natürliche Verbindungsglied zwischen Schlesien und Westpreußen, blieben
für Preußen unentbehrlich. Verzichtete man aber auf die Position von
Warschau, so hatte die Frage, wie weit das preußische Gebiet sich-ostwärts
erstrecken sollte, nur noch geringe Bedeutung; denn westlich von Warschau
bot weder die Prosna noch die Warthelinie eine starke natürliche Grenze.