Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

Fichte und die deutsche Einheit. 439 
ßische Staat ist Deutschlands natürlicher Herrscher, er muß sich erweitern 
zum Reiche der Vernunft, sonst geht er zu Grunde. Das Fragment war 
ein theueres Vermächtniß, das der tapfere und einflußreiche Lehrer der 
norddeutschen Jugend seinen Schülern hinterließ, zugleich ein bedeutungs— 
volles Symptom der Ahnungen und Wiünsche, welche in den Kreisen der 
Patrioten gährten. Jedoch die Absicht einzugreifen in die Politik des Tages 
lag dem Idealisten fern. Er schrieb seine prophetischen Gedanken nur 
nieder „damit sie nicht untergehen in der Welt“, und erst geraume Zeit 
nach seinem Tode sind sie veröffentlicht worden. Für die harten Aufgaben 
des politischen Parteilebens hatte die Zeit noch gar kein Verständniß. Nur 
das eine Ziel der Vernichtung der Fremdherrschaft stand den Patrioten 
klar und sicher vor Augen; was darüber hinaus lag waren hochsinnige 
Träume, so unbestimmt, so gestaltlos wie das in jenem Königsberger 
Winter gedichtete Lied: Was ist des Deutschen Vaterland? — 
Das russische Hauptquartier und die Wiener Hofburg konnten sich 
nicht genug verwundern, wie unbegreiflich schnell das Werk der preußischen 
Rüstungen von statten ging. In Scharnhorst's Händen liefen alle Fäden 
des ungeheuren Netzes zusammen und er verfuhr nach einem festen, seit 
Jahren durchdachten Plane. Da man rasch mit einer zahlreichen Feld- 
armee den Angriff beginnen wollte und überdies wünschen mußte den bei- 
den anderen Ostmächten durch die baldige Aufstellung starker Streitkräfte 
die Leistungsfähigkeit Preußens zu zeigen, so ergab sich als erste Aufgabe 
die Vermehrung der Linientruppen. Darum wurde schon seit dem De- 
cember die Bildung der Reservebataillone betrieben und vollendet. Wesent- 
lich demselben Zweck diente das Aufgebot der freiwilligen Jäger;; sie soll- 
ten den Stamm bilden für die Offiziere und Unteroffiziere der Armee, 
und in der That ist ein großer Theil der Generale und Stabsoffiziere, 
welche späterhin in müden Friedensjahren die Gesinnungen einer großen 
Zeit dem Heere erhielten, aus der Schule jener Freiwilligen hervorge- 
gangen. 
Die Einberufung der Freiwilligen ließ sich allenfalls noch vor den 
Franzosen beschönigen ohne daß man die diplomatische Maske völlig ab- 
nahm. Sie erfolgte unter kluger Schonung der tiefeingewurzelten Vorur- 
theile, welche sich der allgemeinen Dienstpflicht noch entgegenstemmten. Die 
Söhne der höheren Stände kurzab als Gemeine einzustellen ging schlechter- 
dings nicht an; deshalb wurden die Freiwilligen, die sich selber ausrüsteten, 
in besondere, den Regimentern aggregirte Jägerdetachements eingereiht 
und durch die grüne Jägeruniform vor der Masse der Mannschaft aus- 
gezeichnet, sie erfuhren eine ihren Standesgewohnheiten entsprechende Be- 
handlung, erhielten eine besonders sorgfältige Ausbildung und das Recht, 
nach einigen Monaten ihre Offiziere selbst zu wählen. Darauf erfolgte 
die Aufhebung aller Exemtionen und die Verordnung vom 22. Februar, 
die jede Umgehung der Wehrpflicht mit strengen Strafen belegte. Auch
	        
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