Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

612 II. 1. Der Wiener Congreß. 
den begeisterten Teutonen hielt und gern mit großen Worten von teutschen 
Sinnes teutschester Bewährung sprach. « 
Ungleich herausfordernder trat der württembergische Despot auf. Als 
Senior hatte er unter den gekrönten Häuptern überall den Vortritt und 
schloß daraus mit dem naiven Dünkel des deutschen Kleinfürstenstandes, 
daß er nun wirklich der Vornehmste von allen sei, gab stets die reichsten 
Trinkgelder, um die Großmächtigkeit der neuen Schwabenkrone zu erweisen, 
bemühte sich in Worten und Gebärden dem gefallenen Imperator nach— 
zuahmen, so weit sein ungeheurer Leibesumfang dies erlaubte, bekundete 
seinen Ingrimm über den Untergang der rheinbündischen Herrlichkeit un— 
gescheut in rohen Zornreden. Auch sein Thronfolger war wie der bai— 
rische ein Gegner der bonapartistischen Gesinnung des Vaters. Ein rast— 
loser Ehrgeiz arbeitete in der Seele dieses Kronprinzen Wilhelm; da er 
sich in dem letzten Winterfeldzuge als ein tapferer und geschickter Offizier 
gezeigt hatte, so hoffte er auf das Generalat der deutschen Bundesarmee. 
Seine Geliebte, die geistreiche Großfürstin Katharina bestärkte ihn in seinen 
stolzen Träumen; das junge Paar verstand einen solchen Nimbus geistiger 
Größe um sich zu verbreiten, daß selbst nüchterne Männer meinten, von 
dem Stuttgarter Hofe werde dereinst ein neues Zeitalter über Deutsch— 
land ausgehen. Man überschätzte den Prinzen allgemein, und Manche 
sahen in ihm schon den künftigen deutschen Kaiser; von den so ungleich 
größeren Leistungen der preußischen Generale wollte der deutsche Parti— 
cularismus schon nichts mehr hören. 
Unter den Staatsmännern der kleinen Höfe thaten sich namentlich 
Drei hervor, Wrede, Münster und Gagern, Jeder in seiner Weise ein 
typischer Vertreter jener den kleinstaatlichen Diplomaten eigenthümlichen 
impotenten Großmannssucht, welche schon so viel Schmach über Deutsch- 
land gebracht hatte und nunmehr während eines halben Jahrhunderts 
das große Wort in unserem Vaterlande führen sollte. Als ein tapferer 
Haudegen hatte sich Wrede immer bewährt, seit jenen Tagen, da er den 
Landsturm der Odenwälder Bauern gegen die Sansculotten führte, bis 
herab zu der „Entscheidungsschlacht" von Arcis, wie die servile bairische 
Presse sagte. Von wirklichem Feldherrntalente besaß er so wenig wie von 
edler Gesinnung und ernster Bildung; von seiner brutalen Roheit wußten 
die unglücklichen Tyroler Aufständischen zu erzählen.) Die einsichtigen 
bairischen Offiziere glaubten selber nicht an diese gemachte Größe; sie 
wußten wohl, daß sein in Rußland gebliebener Kamerad Deroy, der Re- 
foFrmator der bairischen Infanterie, ein ungleich tüchtigerer Soldat gewesen, 
  
*) Hier stand in den beiden ersten Ausgaben eine Bemerkung über den Raub, welchen 
Wrede (nach der Erzählung Arndt's, Wanderungen mit Stein, S. 218) im Jahre 1807 
im Schlosse Oels begangen haben soll. Diese Worte sind jetzt gestrichen, weil ich in- 
zwischen in Oels Erkundigungen eingezogen habe und die Erzählung nicht mehr für 
richtig halten kann. S. Beilage I. Band II S. 631.
	        
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