Einschreiten des Königs. 637
sich Alexander, so dürfen die drei Mächte keinen Vertrag mit ihm schließen,
sondern sie müssen die Frage offen lassen und bestimmt erklären, daß sie
von ihrer Ansicht nicht abgehen würden, aber auch in diesem Falle müssen
sie so weit als möglich Frankreich fern halten.
Ein wunderlicher Anblick, wie der geistvolle Mann immer wieder sein
Roß bis dicht an den Graben heranführt und sich doch nicht das Herz
faßt das Hinderniß zu nehmen. Er sieht, daß die vorgeblichen Bundesge—
nossen ganz andere Pläne verfolgen als Preußen selbst, daß Preußen für
sich bei diesem diplomatischen Feldzuge nichts Wesentliches gewinnen kann;
er ahnt die Nichtigkeit der österreichischen Versprechungen; er begreift, daß
aus dem Kampfe gegen Rußland nur Frankreich Vortheil ziehen wird.
Wir erwarten, die einzig mögliche Schlußfolgerung schwebe dem scharf—
sinnigen Denker schon auf den Lippen. Da führt ihn ein wunderbar künst—
licher Gedankengang zu der ungeheuerlichen Ansicht: die erste und selbst—
verständliche Pflicht jedes preußischen Staatsmannes, die Pflicht, des
eigenen Landes Macht zu sichern, sei eine niedrige Sorge für „das per—
sönliche Interesse Preußens“! Die gleißnerische englische Phrase von „der
Sache Europas“ berauscht auch diesen kalten Kopf! Es ist dieselbe über—
irdische Großmuth, dieselbe übergeistreiche Willensschwäche, die in unserer
Geschichte immer mit unheimlicher Regelmäßigkeit den großen Zeiten kühn
zugreifender Thatkraft zu folgen pflegt. Auch der gelehrte Hoffmann be—
gnügte sich mit unfruchtbaren Klagen über die Feindseligkeit fast aller
Mächte gegen Preußen;) er so wenig wie Humboldt fand den einfachen
Schluß, daß man die erdrückende Masse der Gegner sprengen und min-
destens mit einer der fremden Mächte sich abfinden müsse.
Was man von Oesterreich zu erwarten habe, konnte nur der gut-
müthigen Schwäche noch zweifelhaft scheinen. Eben jetzt traten auf Be-
fehl ihres Kaisers Metternich, Stadion und Schwarzenberg zu einem Rathe
zusammen und beschlossen, Preußen müsse durchaus wieder bis zur Weichsel-
linie vorrücken. Zur selben Zeit ließ Metternich dem Czaren vertraulich an-
bieten, Oesterreich sei bereit in der polnischen Sache nachzugeben, wenn Ruß-
land die sächsischen Ansprüche Preußens nicht mehr unterstütze. So versicherte
Alexander seinem königlichen Freunde auf das Bestimmteste; Metternich,
nach seiner Gewohnheit, leugnete Alles. Da aber jenes Anerbieten genau
übereinstimmt mit der gleich nachher von Oesterreich wirklich eingehaltenen
Politik, so ist diesmal der Czar sicherlich nicht der Lügner gewesen. —
Eine unerhörte Demüthigung stand dem preußischen Staate bevor;
da griff König Friedrich Wilhelm rettend ein. Es war vielleicht der heil-
samste diplomatische Entschluß seines Lebens. Am 6. November hatte er mit
dem Czaren eine lange Unterredung im engsten Kreise.*) Die beiden
*) Hoffmann's Bemerkungen zu seiner Statistischen Uebersicht, 30. Oct. 1814.
**) Möglicherweise hat diese Unterredung schon am 5. Nov. stattgefunden, wie das
allerdings sehr ungenaue Tagebuch Hardenberg's angiebt.