Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

Das allgemeine Landrecht. 77 
Wesentlichen ein Ackerbauland, und spielte im Welthandel eine bescheidene 
Rolle, auch nachdem ihm Friedrich durch die Erwerbung Ostfrieslands 
einen Zugang zur Nordsee eröffnet hatte; den Häfen der Ems wie der 
Oder fehlte ein reiches gewerbfleißiges Hinterland. 
Als ein Reformator wirkte Friedrich nur in jenem Bereiche des inne— 
ren Staatslebens, das sein Vorgänger nicht verstand. Um die Rechts— 
pflege hatte sich der Verwaltungsmann Friedrich Wilhelm fast allein 
durch die zweckmäßige Neugestaltung des Hypothekenwesens ein Verdienst 
erworben. Der Sohn aber schuf den neuen preußischen Richterstand, 
wie der Vater das moderne deutsche Verwaltungsbeamtenthum gebildet 
hatte. Er wußte, daß die Rechtsprechung ein politisches Amt ist, un— 
zertrennlich mit dem Staate verwachsen; er erwirkte sich für alle seine 
Lande die Unabhängigkeit von den Reichsgerichten, verbot Gutachten der 
Juristenfacultäten einzuholen, stellte ein Justizministerium neben das Gene— 
raldirectorium, gab die gesammte Rechtspflege in die Hände eines hier— 
archisch gegliederten Staatsbeamtenthums, das sich seinen jungen Nach— 
wuchs selbst erzog und die in der untersten Instanz noch fortbestehende 
Privatgerichtsbarkeit unter strenge Aufsicht nahm. Die unbedingte Selb— 
ständigkeit der Gerichte gegenüber der Verwaltung war feierlich ver— 
heißen und, bis auf wenige Fälle einer wohlmeinend willkürlichen Cabi— 
netsjustiz, unverbrüchlich gehalten. Der neue Richterstand bewahrte sich 
in bescheidener wirthschaftlicher Lage eine ehrenhafte Standesgesinnung, 
und während an den Gerichten des Reichs Bestechlichkeit und parteiische 
Gunst ihr Wesen trieben, galt in Preußen auch gegen den Willen des 
Königs das stolze Wort: il y a des juges à Berlin. Dem Jünger der 
Aufklärung, dem der Staat das Werk des zweckbewußten Menschenwillens 
war, drängte sich von selber das Verlangen auf, daß im Staate nicht 
ein gegebenes und überliefertes, sondern ein gewußtes und gewolltes Recht 
herrschen müsse; sein Leben lang trug sich Friedrich mit dem Gedanken, 
die erste umfassende Codification des Rechts, die seit den Zeiten Justinian's 
gewagt worden, durchzuführen. Erst nach seinem Tode kam das All— 
gemeine Landrecht zu Stande, das deutlich, wie kein anderes Werk der 
Epoche, den Januskopf der fridericianischen Staatsansicht erkennen läßt. 
Das Gesetzbuch wahrt einerseits die überlieferten socialen Unterschiede so 
sorgsam, daß das gesammte Rechtssystem sich der ständischen Gliederung 
einfügen muß, dem Adel sogar — zuwider dem gemeinen Rechte — ein 
ständisches Eherecht gewährt wird, und führt andererseits den Gedanken 
der Souveränität des Staates mit solcher Kühnheit bis in seine letzten 
Folgerungen durch, daß mancher Satz schon die Ideen der französischen 
Revolution vorausnimmt, und Mirabeau meinen konnte, mit diesem 
Werke eile Preußen dem übrigen Europa um ein Jahrhundert voraus. 
Zweck des Staates ist das gemeine Wohl, nur um dieses Zweckes 
willen darf der Staat die natürliche Freiheit seiner Bürger beschränken,
	        
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