Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Zweiter Teil. Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. (25)

104 II. 3. Geistige Strömungen der ersten Friedensjahre. 
Verbündeten nur sehr wenig beigetragen hatten. Wer den schweren Ernst 
des Waffenhandwerks kannte, urteilte freilich anders. Speckbacher, der 
tapfere Tyroler Bandenführer von 1809, gestand dem Adjutanten Yorks 
Karl von Roeder: bei uns Bauern war frisches Herz, aber keine Ordnung, 
bei unseren kaiserlichen Soldaten stand es umgekehrt, bei dem Blücher 
und dem York aber war Beides, die Ordnung und das frische Herz; das 
hätt' ich wohl sehen mögen! Für diese Sprache des geraden Menschen— 
verstandes hatte die verbissene Parteigesinnung der Liberalen kein Ohr; 
der Name Freischar klang ihnen so unwiderstehlich wie das Wort Frei- 
staat. Man dachte sich jene unbedeutenden preußischen Freikorps den spa- 
nischen Guerillas ähnlich und betrachtete die „heiligen Scharen“ als die 
eigentlichen Besieger Napoleons. Die feurigen Verse von Lützows wilder 
Jagd, welche der junge Dichter einst arglos aus der Fülle seines be- 
geisterten Herzens heraus geschaffen hatte, erhielten allmählich den Sinn 
eines Parteigesanges. Man wiederholte das Lied herausfordernd wie um 
die Linientruppen zu verhöhnen, und König Friedrich Wilhelm mochte bald 
die frischen Klänge nicht mehr hören, weil sie ihm wie eine Kränkung seines 
tapferen Heeres erschienen. Dies verstimmte Geschlecht schien gar nicht 
mehr imstande, sich der Großtaten der vaterländischen Geschichte un- 
schuldig zu erfreuen. 
Die ganze Verbitterung des Liberalismus entlud sich in Rottecks 
Schrift „über stehende Heere und Nationalmiliz“ (1816). Welch ein Gegen- 
satz zu jenem patriotischen Buche Rühle von Liliensterns „vom Kriege“! 
Der preußische Offizier dachte mit staatsmännischer Mäßigung die Heere 
zu nationalisieren und die Völker zu militarisieren; der Parteimann Rotteck 
stellte sogleich sein radikales Entweder — oder: „wollen wir die Nation 
selbst zum Heere oder die Soldaten zu Bürgern machen?“ Das sei die 
große Frage dieses verhängnisschweren Augenblicks. Mit fanatischem 
Grimme wendete er sich gegen das preußische Wehrgesetz und erklärte, 
kaum ein Jahr nachdem Linie und Landwehr bei Belle Alliance so ruhm- 
voll zusammengewirkt, voll dreister Zuversicht: „welcher Staat durch ein 
stehendes Heer stark sein will, derselbe tut Verzicht auf eine kräftige Land- 
wehr.“ Er schilderte das stehende Heer als die Stütze des Despotismus; 
er behauptete: „wenn alle Jünglinge zum Heere berufen werden, so wird 
die ganze Nation von den Gesinnungen des Mietlings durchdrungen sein;" 
er forderte endlich kurzweg Abschaffung der stehenden Heere, dergestalt daß 
im Frieden nur eine kleine geworbene Truppe unterhalten, die Landwehr 
aber einige Wochen lang notdürftig ausgebildet würde. Während er also 
in radikalen Schlagworten schwelgte, verlangte er zugleich mit naiver Stan- 
desselbstsucht die Einführung der Stellvertretung bei seiner Landwehr:; 
ganze Klassen, namentlich die Studenten sollten befreit sein. Den Schluß 
bildete die stolze Weissagung: welcher Fürst das vollbringt, der wird in 
ganz eigener Glorie glänzen und, wäre er ein Deutscher, der erste sein!
	        
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