Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Zweiter Teil. Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. (25)

F. Schlegel. Steffens. Ancillon. 115 
Verfassungen forderte, aber nach seiner phantastischen Art „die Gemein- 
schaft der Heiligen“ für die Idee des Staates erklärte und den Vorzug 
des Adels in der „mystischen Tiefe aller irdischen Geburt“ begründet fand. 
Den Patrioten klang es wie Hohn, wenn der vertrauensvolle Mann die 
charakterlose Buntheit des zerrissenen deutschen Staatslebens geradezu als 
einen Vorzug pries: jede Verfassung sei mangelhaft, erst die Vielheit der 
Verfassungen gebe eine höhere geistige Einheit! Noch weniger vermochte 
Ancillon die erbitterten Gemüter zu beschwichtigen. Seine zahlreichen 
staatswissenschaftlichen Bücher blickten mit vornehmer Geringschätzung auf 
die seichten Vergötterer des Zeitgeistes hernieder und offenbarten doch 
eine Gedankenarmut, woneben Rottecks Wasserklarheit wie sprudelnde 
Genialität erschien, dazu eine schillernde Unbestimmtheit des Ausdrucks und 
der Ideen, die sich überall eine Hintertür offen hielt. Wenn er in tiefer 
Untertänigkeit die Heilige Allianz als die Versöhnung von Politik und 
Moral feierte oder mit salbungsvoller Breite bewies, zwischen beratenden 
und beschließenden Landständen bestehe eigentlich kein Unterschied, dann 
zürnten die Liberalen um so heftiger, da sie wußten, daß der behutsam 
vermittelnde Schriftsteller am preußischen Hofe stets die Bestrebungen der 
streng reaktionären Partei unterstützte. — 
Noch bevor die siegreichen Heere heimkehrten, hatte ein an sich ge- 
ringfügiger häßlicher Vorfall den Gegensatz der politischen Meinungen 
krankhaft verschärft, das kaum erwachende Parteileben auf lange hinaus 
vergiftet. Seit Jahren waren die napoleonischen Märchen von dem Tugend- 
bunde und den jakobinischen Umtrieben der preußischen Patrioten in der 
Hofburg wie in den rheinbündischen Kabinetten geschäftig umhergetragen 
worden; auch die wohlmeinenden kleinen Höfe erschraken über die lärmende 
terroristische Sprache der teutonischen Wortführer; alle Regierungen fühlten 
sich unsicher, sie empfanden selber, wie wenig der Friedensschluß und die 
Bundesakte den Wünschen der Nation genügen konnten. Auch in Preußen 
begannen die alten Gegner Steins und des schlesischen Hauptquartiers 
sich wieder zu rühren. Schon während des Wiener Kongresses verdächtigte 
ein Hofrat Janke „das wilde Freiheitsgeschrei“" von Arndt und Görres 
bei dem Staatskanzler. Als die Monarchen zum zweiten Male in Paris 
versammelt waren, veröffentlichte der Berliner Professor Schmalz eine 
Flugschrift: „Berichtigung einer Stelle in der Bredow-Venturinischen 
Chronik vom Jahre 1808.“ Jene Stelle war schon vor Jahren auf Schmalzs 
Verlangen von dem Herausgeber selbst berichtigt worden; Schmalz benutzte 
nur den Vorwand um, anknüpfend an die Geschichte des alten Tugend- 
bundes, von dem unterirdischen Treiben der geheimen Vereine, welche 
„vielleicht" aus jenem Bunde hervorgegangen seien, ein unheimliches 
Schreckensbild zu entwerfen. Er war ein Schwager Scharnhorsts, hatte 
mit dem General stets in gutem Einvernehmen gelebt, in der Zeit der 
französischen Herrschaft seinen patriotischen Mut bewährt, auch an der 
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