120 II. 4. Die Eröffnung des Deutschen Bundestages.
Der wilde Kampf der französischen Parteien erregte in der Gesandten-
konferenz um so schwerere Besorgnis, da das reiche Land sich von seinen
wirtschaftlichen Leiden wunderbar schnell erholte und bald wieder zu
einem neuen Kriege fähig schien. Frankreich zerfiel, so sagte die unver-
söhnliche Opposition, in zwei Völker, die Sieger und die Besiegten von
Waterloo. Wo war noch ein gemeinsamer Boden für die demokratischen
Massen, denen die Glorie der weltbeherrschenden Trikolore das Hirn be-
rauschte, und für die Emigranten, diese „Pilger des Grabes“, die von
der Oriflamme und dem heiligen Ludwig träumten? Höhnend hielt
Beranger dem alten Adel das Bild des Marquis von Carabas entgegen;
sein Spottlied c’est le roi, le roi, 1e roi gab das Königtum der Ver-
achtung preis. Das ganze Land war von einem Netze geheimer Gesell-
schaften überspannt; jeder Veteran der großen Armee, der in sein heimat-
liches Dorf zurückkehrte, predigte die napoleonische Legende. Auch die
geistreichen Doktrinäre, die in der Minerva ihre liberalen Anschauungen
aussprachen, untergruben das Ansehen der Krone durch gehässiges Miß-
trauen. Gefährlicher als die Leidenschaften der Opposition erschien jedoch
vorerst die fanatische Verblendung der royalistischen Ultras, welche die
Kammer der Abgeordneten beherrschten. Die Heißsporne der Chambre
introuvable strebten geradeswegs zurück zu der alten feudalen Gesellschafts-
ordnung, sie verlangten blutige Rache an den Königsmördern und den
Gottesmördern. Als König Ludwig den wilden Eifer der Emigranten zu
mäßigen versuchte, wendeten sie sich gegen das Ansehen der Krone selber, ganz
so trotzig wie jene polnischen Magnaten, die einst ihrem König Sigismund
zuriefen: rege sed non impera! Die altständischen Ideen der zügellosen
Adelslibertät tauchten wieder auf und schmückten sich mit den Schlagwörtern
der neuen parlamentarischen Doktrin. Im Namen der konstitutionellen Frei-
heit forderte Chateaubriand die Unterwerfung der Krone unter den Willen
der Kammern und verfocht in seinen Schriften bereits jene radikale Theorie
des Parlamentarismus, welche späterhin die Liberalen sich aneigneten und
zu dem Satze le roi régne mais il ne gouverne pas zuspitzten.
Sämtliche Mitglieder der Gesandtenkonferenz, Pozzo di Borgo voran,
unterstützten den König in seinem Widerstande gegen die Ultras. Sogar
die hochkonservativen englischen Staatsmänner mißbilligten die Parteiwut
der Emigranten, obgleich ihnen der liberale Eifer des „jakobinischen“ Zaren
und seines vordringlichen Gesandten immer verdächtig blieb. Wenn Wel-
lington das törichte Treiben der Ultras betrachtete, die sich im Pavillon
Marsan bei dem Grafen von Artois ihre Weisungen holten, dann meinte
wird in den Briefen nicht ausdrücklich angegeben; er kann aber kaum ein anderer sein
als der im Text angeführte. Denn am 9. Novbr. berichtet Royer: nunmehr müsse König
Friedrich Wilhelm in das Geheimnis eingeweiht werden, von dessen Entscheidung hänge
jetzt Alles ab; und wenige Tage später verschwindet die ganze Angelegenheit aus dem
Briefwechsel