Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Zweiter Teil. Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. (25)

Sechster Abschnitt. 
Süddeutsche Verfassungskämpfe. 
Die mühselige Arbeit der Wiederherstellung, welche in Preußen alle 
Kräfte der Staatsmänner auf Jahre hinaus in Anspruch nahm, blieb 
den süddeutschen Mittelstaaten fast ganz erspart. Diese Kronen hatten 
sich in allen Kriegen des letzten Jahrzehnts immer rechtzeitig auf die 
Seite des Siegers geschlagen und darum bei der großen Abrechnung ihren 
Besitzstand mit geringfügigen Anderungen behauptet. Ihre Länder waren 
durch die Nöte der Feldzüge weit weniger heimgesucht als der Norden, 
und nichts hinderte hier sogleich an das Verfassungswerk heranzutreten. 
Mit dem Sturze des Protektors brach auch die harte Diktatur, welche 
zehn Jahre lang diese jungen Staatsgebilde gewaltsam aufrecht erhalten 
hatte, unrettbar zusammen. Die Höfe selber fühlten, daß die künstliche 
Einheit ihrer Staaten jetzt neuer Stützen bedurfte. Sie hofften, durch 
die Gewährung einiger unschädlichen landständischen Rechte ihre grollenden 
Untertanen mit dem Heimatstaate zu versöhnen und den Sinn des 
Volks dem furchtbaren Gedanken der deutschen Einheit zu entfremden; sie 
dachten zugleich durch schleunige Erfüllung des Art. 13 der Bundesakte 
ihre Souveränität gegen jeden Eingriff des Bundestages zu sichern. 
Also geschah es, daß die Kernlande des Rheinbunds um ein Men- 
schenalter früher als Preußen die schweren ersten Lebensjahre des konstitu- 
tionellen Lebens durchmaßen; und wie dürftig auch das politische Er- 
gebnis dieser Lehrzeit blieb, so hat sie doch die schlummernden Kräfte des 
Südens geweckt und der Welt nach langer Zeit zum ersten Male wieder 
gezeigt, welchen Schatz Deutschland an der alten Kultur, an der schlicht 
bürgerlichen Bildung und dem warmherzigen Gemeinsinn seines Ober- 
landes besaß. Diese oberdeutschen Stämme, die an den politischen Kämpfen 
des achtzehnten Jahrhunderts fast nur leidend teilgenommen hatten, 
traten mit einem Male in den Vordergrund der deutschen Geschichte, und 
wer die deutschen Dinge nur nach den Zeitungen oder den Schlagwörtern 
der Parteien beurteilte, mochte leicht zu dem Irrtum gelangen, als ob 
die Führung der Nation von dem Staate Friedrichs nunmehr auf die 
Bayern, Schwaben und Franken übergegangen sei.
	        
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