Die Landstände und der Kirchenkasten. 299
fand Hilfe bald beim Reichshofrat, bald bei dem Hause Osterreich, das
sich seinen Erbanspruch auf Württemberg nicht verscherzen wollte, bis
endlich England, Preußen und Dänemark die förmliche Bürgschaft für
den letzten großen Freiheitsbrief des Landes, den Erbvergleich von 1770
übernahmen.
Auch die Kirche besaß noch ihren Kirchenkasten, der über die Ein-
künfte zahlreicher Landgüter und Waldungen gebot; sie allein unter allen
den lutherischen Landeskirchen Deutschlands hatte sich das gesamte Be-
sitztum der alten Kirche ungeschmälert erhalten. Und nicht bloß darum
hieß Württemberg unter den lutherischen Theologen der Augapfel Gottes.
Das kleine Land war der lebendige Mittelpunkt des Protestantismus in
Oberdeutschland. Mit der ganzen Innigkeit seines tiefen Gemüts hatte
das Volk sich einst freiwillig dem evangelischen Glauben zugewendet und
ihn dann unter schweren Prüfungen standhaft behauptet, während die
Heere der Habsburger dreimal das Land überschwemmten und seine Selb-
ständigkeit zu vernichten drohten. Die also in Kampf und Leiden be-
währte Kirche bestimmte die gesamte Bildung des Volks, sie schenkte dem
Lande früh ein trefflich geordnetes Volksschulwesen und hielt unter den
Erwachsenen durch die gefürchteten Vermahnungen „ab der Kanzel“ eine
puritanische Sittenzucht aufrecht. Die drei hochberühmten Klosterschulen
in den stillen Waldtälern von Bebenhausen, Blaubeuren, Maulbronn,
wo die Söhne des Herrenstandes ihre Bildung empfingen, trugen noch
ganz das Gepräge geistlicher Lehranstalten. Auch an der Tübinger Uni-
versität gab das theologische Stift den Ton an; der Stiftler, so hieß es,
war zu jedem Amte zu gebrauchen. Die Prälatengeschlechter der Andreä,
Osiander, Bidenbach teilten sich mit den Bürgermeisterfamilien in die
Beherrschung des Landtags.
Die großen Tage dieser bürgerlich theologischen Oligarchie fielen in
die stille Zeit nach dem Augsburger Frieden, da das gesamte deutsche
Leben von der Theologie beherrscht wurde. Damals, unter dem guten
Herzog Christoph und dem frommen Ludwig, der seine Zeit so stillver-
gnügt zwischen dem Bierkrug und den symbolischen Büchern teilte, galt
Württemberg als das Musterbild eines lutherischen Territoriums. Aber
sobald die aufkommenden stehenden Heere der modernen Politik neue
Aufgaben stellten, offenbarte sich auch hier wie überall die Unfruchtbar-
keit des altständischen Staates. Der kunstvolle Bau dieser wohlgesicherten
Ständeherrschaft war auf den ewigen Stillstand der menschlichen Dinge
berechnet, die Macht des Landesherrn so unnatürlich eingeengt, daß Alt-
württemberg nur die Sünden, niemals die schöpferische Kraft der Monarchie
kennen lernte. Dem Volke erschien der Herzog nur als ein lästiger Dränger
und Heischer, da er von dem murrenden Ausschuß beständig neue Steuern
und Rekruten forderte. Das überspannte fürstliche Selbstgefühl, das im
achtzehnten Jahrhundert auch diese Dynastie ergriff, konnte sich hier nicht