Grillparzer. Raimund. 23
der theoretischen Uberklugheit der deutschen Romantik nur einmal ange-
steckt worden. Sein Erstlingswerk, die Ahnfrau, war eine Schicksals-
tragödie; nicht die freie Tat des Helden sondern „tief verhüllte finstre
Mächte" führten das tragische Verhängnis herauf. Jedoch die Pracht der
Sprache und die Glut der Leidenschaft, das stürmische Fortschreiten der
Handlung und die merkwürdig frühreife Sicherheit der Technik ließen den
verschrobenen Grundgedanken fast vergessen. Und alsbald riß sich der
gesunde Sinn des Dichters aus den Fesseln der Müllnerschen Kunst-
theorien völlig los. In seinen Trauerspielen „Sappho“ und „das goldene
Vließ“" zeigten sich reine Form und scharfe Charakterzeichnung, deutscher
Ernst und die schöne, wahre Sinnlichkeit des Altösterreichers, klassische
und romantische Ideale glücklich verschmolzen. Goethe blieb ihm fortan
der mit kindlicher Andacht geliebte Meister, Weimar der geweihte Herd
des deutschen Lebens. Größeres als den dämonischen Charakter der Medea
hat Grillparzer in den historischen Dramen seiner späteren Zeit nicht mehr
geschaffen; eine stetige Entwicklung blieb ihm trotz des höchsten Künstler-
fleißes versagt. Er war nicht einer jener mächtigen Geister, die in un-
aufhaltsamem Aufsteigen nach und nach immer weitere Kreise der Welt
mit dem Lichte ihrer Ideen bestrahlen, aber eine gemütvolle, schamhafte
Künstlernatur, ein echter Dichter, der auch in den Zeiten des Verfalls
die bewährten alten Grundsätze des dramatischen Idealismus mit unbe-
irrter Treue bewahrte, der würdige Herold der neuen deutschen Poesie in
Osterreich.
Bald nachher eroberte ein anderer Osterreicher, Ferdinand Raimund
der deutschen dramatischen Kunst ein neues Gebiet. Der hatte seit Jahren
als Komiker aufs dem Leopoldstädter Theater sein harmloses Publikum
durch meisterhaftes Spiel entzückt, und als er nun in aller Bescheiden-
heit sich anschickte seine kleine Bühne selber mit neuen Stoffen zu ver-
sorgen, da schuf er nicht, wie die meisten dichtenden Schauspieler, klug
berechnete Zugstücke mit dankbaren Rollen, sondern volkstümliche Kunst-
werke. Er wurde der Schöpfer der neuen Zauberposse, seit Hans Sach-
sens Zeiten der erste deutsche Poet, der in Wahrheit das ganze Volk an
die Bühne zu fesseln verstand und die Massen ergötzte durch Dichtungen,
an denen auch der gebildete Sinn sich eine Weile erfreuen und erwärmen
konnte. Die Lust am Fabulieren war diesem Wiener Kinde angeboren;
geradeswegs aus dem Getümmel des Volkslebens griff er seine lustigen
Gestalten heraus, unerschöpflich in jenen gutmütigen Schwänken und
dämischen Späßen, die der Osterreicher und der Obersachse mit dem
glückseligen Ausrufe: nein, das ist zu dumm! zu begrüßen pflegt. Aber
hinter dem ausgelassenen, ckischen Treiben verriet sich der unter Tränen
lächelnde Humor eines tiefen Gemütes. Und wie fest stand noch der
alte deutsche sittliche Idealismus in jenen unschuldigen Tagen des sozialen
Friedens! Immer wieder kam Raimund auf die Frage nach dem wahren