Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Zweiter Teil. Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. (25)

306 II. 6. Süddeutsche Verfassungskämpfe. 
sondern auch einem unleugbaren politischen Notstande. Über das ver- 
einigte Alt= und Neu-Württemberg stürzten nun alle Schrecken des Des- 
potismus herein; aber die Selbstherrschaft schenkte dem Lande neben un- 
zähligen Taten empörender Willkür doch auch die unentbehrlichen In- 
stitutionen des modernen Staates. Das Religionsedikt, König Friedrichs 
bestes Werk, zerstörte die Herrschaft der lutherischen Kirche, gab beiden Be- 
kenntnissen gleiche Rechte. Durch die Sekularisation des Kirchenkastens 
und die Aufhebung der ständischen Kasse wurde die Einheit des Staats- 
haushalts gegründet und die regelmäßige Steuerpflicht durchgeführt, freilich 
mit solcher Härte, daß der Grundbesitz fast vier Fünftel seines Reinertrags 
an Abgaben zu zahlen hatte. Das waffenlose Land erhielt endlich wieder 
ein kriegstüchtiges kleines Heer, das, wie der König prahlte, mit den 
Truppen anderer Monarchen in gleicher Linie stand; und wenngleich der 
alte Unfug des Schreiberwesens nicht gänzlich beseitigt wurde, so ent- 
standen doch durch die neuen Gerichte und Verwaltungsstellen die ersten 
Anfänge eines monarchischen, akademisch gebildeten Beamtentums, und 
jede Begünstigung des alten Herrenstandes fiel hinweg. Selbst das Unter- 
richtswesen, das der König mit roher Geringschätzung behandelte, gewann 
mindestens die Möglichkeit einer freieren Entwicklung seit die Leitung in 
die Hände weltlicher Behörden kam. 
Der ganze Umschwung vollzog sich gewaltsam, stoßweise und darum 
unvollständig: die Patrimonialgerichte fielen, die drückenden Grundlasten 
und Frohnden, das Jagdrecht und das gänzlich verrottete Zunftwesen 
blieben bestehen. Immerhin brachte dies Schreckensregiment einige Ord- 
nung in ein Chaos verlebter Territorien und ebnete den Boden, auf dem 
sich vielleicht dereinst ein gesünderes Staatsleben erheben konnte. Der 
Feind der Revolution begründete selber in seinem Staate mit revolu- 
tionärem Ungestüm die moderne Rechtsgleichheit, nur daß sie hier, wie im 
napoleonischen Frankreich, zunächst als die gleiche Knechtschaft aller erschien. 
Merkwürdig doch, wie viel Lebens= und Arbeitskraft der böse dicke König 
mitten im Schmutze seiner Ausschweifungen sich bewahrte. Er selber war 
die Seele seines Reichs und zeigte sich unerschöpflich in neuen Entwürfen: 
die Hafenstadt Friedrichshafen am Bodensee, das Eisenwerk Friedrichsthal, 
die Saline Friedrichshall sollten den Cäsarenruhm des ersten Schwaben- 
königs der Nachwelt überliefern. Alle seine Räte, die er mit Vorliebe dem 
deutschen Auslande entnahm, dienten ihm als willenlose Werkzeuge, wohl 
nur Graf Wintzingerode verstieg sich zuweilen zu einem eigenen Gedanken. 
Auch dem Protektor gegenüber wußte König Friedrich, bei aller Ergeben- 
heit, den fürstlichen Stolz besser zu wahren als die anderen Könige des 
Rheinbunds; er weigerte sich seine Truppen nach Spanien zu senden, 
und Napoleon rief einst erbost: wenn dieser Mann hunderttausend Sol- 
daten hätte, so würde ich ihm den Krieg erklären. 
Die Masse des Volks konnte für die berechtigten politischen Gedanken,
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.