König Friedrich J. 307
welche bei dem Umsturz der alten Ordnung mitwirkten, unmöglich ein
Verständnis haben. Sie sahen ringsum nur die Zerstörung verbriefter
Rechte, Beamtenwillkür und Steuerdruck, Unterschleif und Angeberei. Da—
zu die alte Plage der landesfürstlichen Jagden bis zum Frevelhaften ge—
steigert; dazu das widerwärtige Schauspiel eines Hofes, der durch ge-
schmacklose Verschwendung, durch die prunkenden Titel seiner Reichs-
bannerherren, Reichsmarschälle und Reichsherolde mit dem Glanze des
Weltherrschers zu wetteifern strebte. Dem ehrenfesten Stuttgarter Bürger
stieg das Blut in die Wangen, wenn er von der voltairianischen Religions-
spötterei seines Landesvaters hörte; nun gar die Frechheit der verwor-
fenen königlichen Lieblinge erinnerte an die Mignons Heinrichs III. von
Valois. Soeben wieder erregte ein widerwärtiges Familiendrama im
königlichen Hause die Entrüstung der ganzen Welt. Der König hatte einst
seine Tochter Katharina zur Ehe mit Jerome Napoleon gezwungen und
verlangte jetzt nach dem Sturze des Kaiserreichs, daß sie sich von ihrem
Gatten trennen solle. Die edle Frau erwiderte stolz: „ich habe sein Glück
mit ihm geteilt, er gehört mir an in seinem Unglück.“ Darauf ließ der
Vater die Tochter halb gewaltsam aus Osterreich nach Württemberg ent-
führen und hielt dann die beiden Gatten ein Jahr lang im Schlosse von
Ellwangen fest, um sie durch Drohungen und Mißhandlungen zur Her-
ausgabe ihres Vermögens zu zwingen. Im Lande stieg die Not und die
Erbitterung von Jahr zu Jahr; mancher Verzweifelnde ward nur durch
das strenge Verbot der Auswanderung daheim zurückgehalten. Sobald
nach dem Tode des Despoten dies Verbot aufgehoben wurde, verließen
viele die Heimat. Die ersten Wellenschläge des großen Stromes der ameri-
kanischen Auswanderung zeigten sich schon 1817 in Württemberg; die ab-
ziehenden armen Leute aus dem Heilbronner Lande erklärten laut, daß
allein die Härte der Beamten und die Last der Abgaben sie vertreibe.
Nach siebzehnjähriger Regierung war der König seinem Volke noch
immer völlig fremd. Wie hätte er sonst glauben können, daß diese treuen
steiflnackigen Schwaben den Untergang ihres guten alten Rechts so schnell
verschmerzen würden? Voll Zuversicht rechnete er auf den untertänigen
Dank seines Volkes, als er aus Wien heimgekehrt sich entschloß, durch die
Verleihung einer Verfassung den Beschlüssen des Kongresses zuvorzu-
kommen. Er sollte bald erfahren, daß der gefährlichste Augenblick für eine
verderbte Regierung immer dann eintritt, wenn sie selber zu Reformen
schreitet. Ein königliches Manifest berief einen ungeteilten Landtag für
das neue Reich: fünfzig Vertreter des Adels, vier Geistliche, je einen Ab-
geordneten aus den 64 Oberämtern und den sieben Städten, welche den
napoleonischen Titel der guten Städte führten. Noch bevor diese Ver-
sammlung zusammentrat, wußte jedermann in Stuttgart, selbst das
diplomatische Korps, daß ein großer Schlag gegen den König im Werke
sei. Das unglückliche Volk gewann das so lange unterdrückte Recht der
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