Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Zweiter Teil. Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. (25)

314 II. 6. Süddeutsche Verfassungskämpfe. 
war endlich froh ihn als Kurator der Universität nach Tübingen zu ent- 
fernen. Hier verkehrte er, ein treuer, einsichtiger Förderer der Wissen- 
schaft, freundlich mit allen namhaften Gelehrten der Hochschule, am liebsten 
doch mit dem Mystiker Eschenmaier, der den erregbaren, für alle Spiele 
der Phantasie empfänglichen Dilettanten in die kabbalistischen Formeln 
seiner naturphilosophischen Staatslehre einweihte. Als der Verfassungs- 
kampf sich verschärfte, trat Wangenheim plötzlich mit einer Schrift „die 
Idee der Staatsverfassung“ hervor. Das wunderliche Buch zeigte schlagend, 
wie unvereinbar das alte gute Recht mit dem modernen Staatsbegriffe 
sei, und entwickelte sodann mit feierlichem Pathos das Programm einer 
unfehlbaren, allen Ansprüchen der Idee genügenden Musterverfassung. Es 
war die alte Montesquieusche Doktrin in phantastischem Aufputz: die 
heilige Dreizahl der Naturphilosophie sollte sich in dem Gleichgewicht der 
drei Gewalten offenbaren; die Volksmasse erschien als die Vorstellungs- 
kraft, die Gemeinde als die Einbildungskraft, der Landtag als das Be- 
gehrungsvermögen des Staates. Immerhin verbargen sich hinter der 
doktrinären Hülle einige gute, ausführbare Vorschläge, und da dem Könige 
sich nirgends sonst ein Helfer darbot, so beauftragte er diesen literarischen 
Vermittler mit der Beilegung des Verfassungsstreites. 
Voll stolzer Zuversicht folgte Wangenheim dem Rufe. Er krankte 
bereits an jener maßlosen Selbstüberschätzung, welcher begabte Köpfe in 
engen Verhältnissen so leicht verfallen, und meinte sich berufen, dem ganzen 
Deutschland durch eine Verfassung ohne Gleichen ein glänzendes Vorbild zu 
bieten. Obgleich er den Rheinbund aufrichtig haßte, so konnte er sich doch 
nicht enthalten, seine geliebte mystische Dreizahl auch auf die gesamt- 
deutsche Politik zu übertragen und hatte sich schon längst das System einer 
deutschen Trias ausgeklügelt, das der schmachvollen Dreiteilung der napo- 
leonischen Tage leider sehr ähnlich sah. Osterreich und Preußen erschienen 
ihm beide als halbfremde Mächte, Preußen insbesondere als der unersättlich 
habgierige Feind der angestammten Fürstenhäuser; die Gesamtheit der 
Kleinstaaten, „das reine Deutschland“ solle diese Mächte in Schranken 
halten, das Gleichgewicht zwischen beiden herstellen, ihnen in Freiheit und 
Gesittung immerdar voranleuchten, der Kernstamm aber unter den rein- 
deutschen Kernstämmen blieben die Schwaben. Wangenheim liebte seine 
neue Heimat bis zur Vergötterung und hing an dem königlichen Hause 
mit einer ritterlichen Treue, die sich selbst in Augenblicken gerechten Un- 
muts nie verleugnete.“) Aber er kannte die Landesverhältnisse nur ober- 
flächlich und verstand die eigenrichtigen Köpfe nicht zu behandeln. Schlimm 
genug schon, daß er „ein Ausländer"“ war und durch sein reines Hoch- 
  
*) Ich benutze hier u. a. eine Sammlung von Briefen Wangenheims an seinen 
Freund Geh. Rat von Hartmann, die mir Herr Prof. Hartmann in Stuttgart mit- 
geteilt hat.
	        
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