Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Zweiter Teil. Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. (25)

Nachgiebigkeit des Königs. 315 
deutsch die schwäbischen Ohren beleidigte; doch als er sich gar in burschikosen 
Witzen über die „Bocksbeuteleien“ der alten Verfassung erging und über 
die altwürttembergischen Schreiber sagte: solche Subjekte wüßten von 
Himmel und Erde nichts als Rechnungen zu machen, die niemand ver— 
stehe als wieder ein Schreiber — da erschien er dem Lande wie ein Heilig— 
tumsschänder. Eine Flut von Spottreden ergoß sich über das Staats- 
begehrungsvermögen und die anderen naturphilosophischen Schrullen des 
„württembergischen Solon“. 
Im Oktober 1815 wieder einberufen hatte der Landtag abermals in 
einer zwanzig Bogen langen Adresse die alte Verfassung für das ganze 
Land gefordert und drohend hinzugefügt: „das Volk fängt an, an der Zu- 
kunft zu verzweifeln.“ Da endlich, in einem Ministerrate am 11. Novbr., 
gewann Wangenheim den König für den Vorschlag, daß man den Alt- 
rechtlern ihr teures Prinzip zugeben müsse.".) Zwei Tage darauf über- 
raschte der Monarch die Stände durch eine Botschaft, welche den auswär- 
tigen Diplomaten „fast wie ein Wunder"“ erschien. Er erklärte darin, 
daß er die innere Gültigkeit der alten Landesverträge nicht bestreite, son- 
dern nur ihre Anwendbarkeit, und bot sodann in vierzehn Artikeln das 
unbeschränkte Steuerbewilligungsrecht, die Verantwortlichkeit aller Staats- 
diener, endlich und vor allem die gemeinsame Revision aller seit 1806 
erlassenen Gesetze. Die Artikel enthielten in der Tat alles was von 
den altständischen Einrichtungen noch irgend lebensfähig erschien und außer- 
dem noch eine lange Reihe neuer, wertvoller Rechte. Der König schloß 
mit der Versicherung: würden auch diese Vorschläge verworfen, dann bleibe 
ihm nichts übrig als in Altwürttemberg das alte Recht wiederherzustellen 
und den neuen Gebieten eine selbständige neue Verfassung zu geben. 
Nach diesen großen Zugeständnissen der Krone begann die öffent- 
liche Meinung außerhalb des Ländchens umzuschlagen; Stein, Gagern 
und viele andere Wohlmeinende, die bisher auf der Seite der Stände 
gestanden, rieten jetzt dringend, die Hand der Versöhnung zu ergreifen. 
Der Landtag dagegen hatte sich bereits zu tief in den Kampf verbissen, 
der Streit war längst persönlich geworden, die erbitterten Gemüter 
spotteten aller Vernunftgründe. Die Stände ließen sich zwar herbei, 
abermals durch einen Ausschuß mit der Krone zu verhandeln; der Aus- 
schuß aber schritt sogleich, unbekümmert um die vierzehn Artikel, an die 
Ausarbeitung eines unförmlichen Verfassungsentwurfs, der in 25 Kapiteln 
und vielen hunderten von Paragraphen alle die staubigen Kleinodien des 
alten Rechts, vornehmlich den stehenden Ausschuß und die Stenerkasse, 
wieder aufzählte. 
Monatelang ward darüber hin= und hergestritten, und um die Ver- 
wirrung zu vollenden, griff Wangenheims doktrinärer Eifer auch noch 
  
*) Küsters Bericht, 11. Nov. 1815.
	        
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