Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Zweiter Teil. Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. (25)

416 II. 7. Die Burschenschaft. 
sches Preußentum“, sie scheuten sich auch nicht, aus der Geschichte des 
Befreiungskrieges alles preußische, alles was ihr Farbe und Leben gab, 
auszustreichen. Das Liederbuch der Burschenschaft, A. Follens „Freie 
Stimmen frischer Jugend“, gab alle die schönen Kriegslieder, welche von 
Preußens Ruhm erzählten, verstümmelt wieder, der Name Preußens kam 
in der ganzen Sammlung gar nicht vor. In Arndts Husarenliede schwur 
Blücher nicht mehr „dem Franzmann zu weisen die preußische Art“, wie 
der Dichter gesungen hatte; jetzt hieß es „die altdeutsche“ oder gar „die 
deutscheste Art“. Uberdies hatten die Führer der Burschenschaft zumeist 
unter den Lützowern gedient und sich dort gewöhnt, als Mitglieder einer 
„rein-deutschen Freischar“ mit Geringschätzung auf die preußische Linie 
herabzusehen, die im Kriege so viel glücklicher war als sie selber. So 
geschah es, daß diese Enthusiasten des Deutschtums der lebendigsten Kraft 
unserer nationalen Einheit von Haus aus fast ebenso unfreundlich gegen- 
überstanden wie die Turner. Begreiflich, daß der kindliche Glaube an 
die unfehlbare Weisheit „des Volks“ und eine platonische Vorliebe für 
republikanische Formen sich unter den Burschen noch häufiger fand als unter 
den Männern. Die landständischen Verfassungen schienen der Jugend vor- 
nehmlich darum nötig, weil sie, gleich der Mehrzahl der älteren Liberalen, 
den Partikularismus allein in den Kabinetten suchte: wenn nur erst in 
jedem deutschen Lande eine Verfassung besteht, meinte Karl Sand, dann 
wird es nur noch Deutsche, keine Bayern und Hannoveraner mehr geben! 
Immerhin war in diesen ersten Jahren von krankhafter Aufregung 
unter den jungen Leuten noch wenig zu spüren. Anmaßlich genug zogen 
sie freilich daher, in ihrer wunderlichen christlich-germanischen Tracht, 
im Barett, dunklen Rock und Weiberkragen, und der neue Turnerbrauch, 
der auch nach Jena bald hinüberdrang, ließ sie nicht liebenswürdiger er- 
scheinen. Aber unter der rauhen Schale lag ein gesunder Kern. Die 
Behörden selbst waren verwundert, als der beständige Krieg gegen die 
akademischen Gesetze, worin die Landsmannschaften ihren Ruhm gesucht 
hatten, jetzt plötzlich aufhörte; und wie viel edler ward der ganze Ton 
des akademischen Lebens seit die Gesänge Arndts und Schenkendorfs auf 
den Kommersen erklangen und eine ganze Schar junger Poeten, der 
Holsteiner Binzer voran, immer neue kräftige Burschenlieder aufbrachte. 
Fast alle die ernsten Lieder, welche der deutsche Student heute zu singen 
pflegt, sind erst damals aufgekommen; auch das Weihelied der Studenten, 
der Landesvater erhielt erst jetzt durch eine glückliche Umarbeitung seinen 
schönen vaterländischen Sinn. Die christliche Frömmigkeit, die sich aller- 
dings oft prahlerisch zur Schau stellte, war bei den Meisten echt und 
innig; mancher der jungen Träumer erschien wie verklärt durch die fromme 
Freude über alle die Wunder, welche Gott an diesem Volke getan. — 
Einen wesentlichen Charakterzug des neuen Teutonentums bildete 
der eingefleischte Judenhaß. Da die gewaltige Erregung des Befreiungs-
	        
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