Die Allgemeine Deutsche Burschenschaft. 437
Darmstadt und Nassau erbitterte die jungen Gemüter, und als endlich
auch für diese Lande die Stunde der Befreiung schlug, da fügte es ein
unfreundliches Schicksal, daß die Gießener Studenten, die sich eifrig zu
den Fahnen drängten, den Feind fast niemals zu Gesicht bekamen. Sie
lernten auf anstrengenden Märschen nur die Prosa des Krieges, nicht seine
begeisternden Freuden kennen, hatten viel zu leiden von der Grobheit ihrer
rheinbündischen Offiziere, die mit gebildeten Mannschaften nicht umzu—
gehen wußten, und kehrten verstimmt heim, voll Abscheus gegen das
„Söldnerwesen“, ohne jede Ahnung von der königstreuen Gesinnung des
preußischen Volksheeres, das sie nie gesehen hatten; sie schworen darauf,
daß Deutschland den Krieg nur um der Verfassung willen geführt habe
und alles Blut umsonst geflossen sei.
Eigentümlich war den Gießener Studentenbünden ein geheimer Ver—
kehr mit älteren Männern, den die Jenenser zu ihrem Glück vermieden.
Zur Zeit des Krieges hatten sich in den Lahngegenden mehrere Geheim—
bünde wider die Fremdherrschaft zusammengetan, ohne eine rechte Wirk—
samkeit zu gewinnen. 1814 entstand in Idstein und der Nachbarschaft,
nach einem Plane Arndts, eine deutsche Gesellschaft; im Jahre darauf ver—
suchte Justizrat K. Hoffmann zu Rödelheim einen Bund zu bilden, der
mit Justus Gruner in Verbindung stand und die preußische Hegemonie
auf seine Fahne schrieb.“) Einige Mitglieder dieser Vereine gingen nach—
her von den teutonischen Idealen rasch zum weltbürgerlichen Radikalismus
über und unterhielten geheimen Verkehr mit den Gießener Burschen: so
zwei Wortführer der nassauischen Opposition, die Gebrüder Ludwig und
Wilhelm Snell, und vor allen Konrektor Weidig in Butzbach, ein beredter
Apostel der Egalité, der schlechtweg jede Regierung für sündhaft erklärte,
weil Gottes Gebot die vollkommene Gleichheit aller Menschen vorschreibe.
Der Einfluß dieser Männer und die schwüle Luft eines durchaus unge—
sunden Staatswesens gaben dem Gießener Studentenleben bald einen selt—
sam fanatischen Ton. Eine Verbindung der „Schwarzen“ tat sich auf
und versuchte ihr radikales neues Gesetzbuch, den „Ehrenspiegel“, der ge—
samten Studentenschaft aufzuzwingen; die Landsmannschaften anderer-
seits spielten die Vertreter des Partikularismus, steckten die hessische Ko-
karde auf und bewirkten durch eine Anzeige die Auflösung der Schwarzen.
Die eifrigeren Genossen des aufgelösten Bundes blieben jedoch insgeheim
beisammen.
An ihrer Spitze standen die Gebrüder Follen, Adolf, Karl und Paul,
drei bildschöne, hochgewachsene junge Männer voll Feuer und Leben, alle-
samt streng republikanisch gesinnt, die Söhne eines Gießener Beamten,
dessen eine Tochter nachher die Mutter von Karl Vogt wurde. Adolf
Follen besaß ein frisches lyrisch-musikalisches Talent, das er sich leider
*) s. o. I. 192.