Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Zweiter Teil. Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. (25)

Mordanfall auf Ibell. 525 
unterstützt von einigen älteren Freunden, das schlechte Handwerk seines 
Bruders fort. Um zu vollenden was auf den Pfingstversammlungen 
mißlungen war, traf er einmal nachts in einer Dorsfschenke mit einem 
Pfarrer aus der Wetterau und einem jungen Apotheker Löning aus Nassau 
zusammen. Präsident Ibell in Wiesbaden sollte das nächste Opfer sein. 
Was kümmerte es diese Wütenden, daß Ibell der tüchtigste und im 
Grunde auch der liberalste der nassauischen Beamten war? Er diente 
den Gewaltherren und hatte zudem soeben durch die Absetzung des schwarzen 
Bruders W. Snell den Zorn der Unbedingten gereizt. Die drei Mordge- 
sellen warfen das Los; da forderte Löning als nächster Landsmann Ibells 
die Bluttat für sich.') Er war mit L. Snell befreundet, ein geistloser, 
unwissender Mensch, vor kurzem erst in Heidelberg unter die Schwarzen 
geraten, gerade roh genug, um das einleuchtende Evangelium des poli- 
tischen Mordes handgreiflich zu nehmen. Am 1. Juli ließ er sich, ganz 
nach Sands Vorbilde, bei Ibell zum Besuch anmelden und warf sich 
dann plötzlich mit rasender Wut auf sein Opfer. Der Stoß ging fehl, 
Ibell ward nur leicht verwundet, seine tapfere Frau und andere Herbei- 
eilende retteten ihm das Leben; aber der jähe Schreck erschütterte den 
kräftigen Mann dermaßen, daß er bald darauf den Abschied nehmen 
mußte und erst nach Jahren in den staatsmännischen Beruf zurückkehren 
konnte. Der Mörder zeigte im Gefängnis dieselbe dämonische Kraft der 
Selbstbeherrschung wie Sand; um seine Genossen zu sichern gab er sich 
selbst den Tod auf die gräßlichste Weise, durch verschluckte Glasscherben. — 
Unheimlicher noch als die beiden Bluttaten selber war der Eindruck, 
den sie in der Nation zurückließen. Zwar von Löning sprach man selten, 
da Ibell außerhalb Nassaus wenig bekannt war; den Mörder Kotzebues 
aber umstrahlte ein Glorienschein. Uns Nachlebenden, die wir unbefangen 
zurückschauen, erscheint ein Mord, den ein heißblütiger Jüngling etwa in 
der Wut der Eifersucht oder des gekränkten Ehrgefühls unternimmt, 
unzweifelhaft menschlicher, entschuldbarer mindestens, als die scheußliche, 
hohle Selbstüberhebung jenes unreifen, tief unter der Mittelmäßigkeit 
stehenden Schwärmers, der nie etwas rühmliches getan, nie ein geist- 
reiches Wort gesprochen, nie eine schwere Versuchung bestanden hatte und 
gleichwohl sich zum Sittenrichter aufwarf über seine Zeit und die Ver- 
derbnis der Welt durch eine rohe Verletzung der einfachsten sittlichen Gesetze 
zu heilen unternahm. Das einzige, was uns den Abscheu mildern kann, 
ist das Mitleid mit dem verblendeten Toren, der in seinem leeren Kopfe 
nicht die Waffen fand, um den Irrlehren einer verbrecherischen Doktrin 
zu widerstehen. Den weiblichen Geist beherrscht das Gefühl, den Geist 
des Mannes der Verstand; eine unbedeutende Frau kann durch den Adel 
  
*) Nach Paul Follens eigenem Geständnis (bei Münch, Erinnerungen S. 60). Zu 
ergänzen durch die vorsichtigen Andeutungen H. Leos (Aus meiner Jugendzeit S. 227).
	        
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