Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

Die Großmächte und die Griechen. 189 
Politik. Er sah wohl ein, daß er die Pforte nicht offen unterstützen durfte, 
wenn er die Aufständischen nicht geradewegs dem Petersburger Hof in 
die Arme treiben wollte; in seiner Angst vor jeder Neuerung konnte er 
sich aber auch nicht entschließen, durch eine gemeinsame Intervention der 
großen Mächte den Rajah-Völkern ein halbwegs menschenwürdiges Dasein 
und damit dem türkischen Reiche vielleicht noch eine Lebensfrist zu sichern. 
In solcher Bedrängniß erblickte er nur einen Weg der Rettung: wenn die 
großen Mächte ihren Abscheu vor der griechischen Erhebung nachdrücklich 
aussprachen und dann die orientalischen Wirren sich selber überließen, 
so mußte die gewaltige Uebermacht der Pforte den Aufstand bald bemeistern 
und der Krummsäbel der Osmanen, wie Metternich zuversichtlich hoffte, 
die alte Ordnung im Reiche des Sultans einfach wiederherstellen. 
In dieser starr conservativen Gesinnung begegnete sich der öster- 
reichische Staatsmann mit den Ansichten des englischen Hofes, der durch 
den Aufstand der Hellenen seine gewohnten Handelswege zu verlieren 
fürchtete, und den geheimen Plänen Rußlands noch ängstlicher als die 
Hofburg selbst mißtraute. Der Gedanke, daß die erste Seemacht der Welt 
durch die Entfesselung der gebundenen wirthschaftlichen Kräfte der Balkan- 
halbinsel nur gewinnen konnte, lag gänzlich außerhalb des Gesichtskreises 
dieser Hochtorys. Auch die preußischen Staatsmänner schlossen sich der 
Meinung Oesterreichs an, obgleich Bernstorff die Hoffnungen Metternich's 
nicht theilte und den Aufstand der Hellenen keineswegs für aussichts- 
los hielt.“) 
Doch wie sollte es gelingen, den Czaren selbst für eine Ansicht zu 
gewinnen, welche allen Ueberlieferungen der Petersburger Politik und den 
mächtigsten nationalen Leidenschaften des russischen Volkes widersprach? 
Noch saß Kapodistrias im Rathe Alexander's, und dieser Grieche mußte, 
wie Bernstorff sagte, „seine natürlichsten und mindest zweifelhaften 
Empfindungen verleugnen“", wenn er der Befreiung der Hellenen entgegen- 
trat. Aber die Gunst des Glückes, die dem österreichischen Hofe in diesen 
Laibacher Zeiten unwandelbar zur Seite stand, blieb ihm auch jetzt treu. 
Das Schreiben Mgsilanti's, das dem Czaren den Beginn des Aufstandes 
offen mittheilte, gelangte nach Laibach in den nämlichen Tagen, da 
Alexander durch die Turiner Nachrichten tief erschüttert war; leidenschaftlich 
erregt erblickte er überall in der Welt nur das Schreckgespenst des großen 
demagogischen Geheimbundes, und weil er von den Umtrieben der russischen 
Agenten wenig oder nichts wußte, so sah er auch in seinem fanariotischen 
Freunde nur einen Verblendeten, der sich in den Netzen der Carbonari 
habe fangen lassen. In solcher Stimmung traf ihn Metternich, und es 
hielt nicht allzu schwer, diesmal mit Hilfe der Feuersbrunst, die Nerven des 
Czaren noch mehr zu erregen: die griechische Rebellion, so versicherte der 
  
*) Bernstorff's Bericht, 20. März 1820.
	        
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