Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

Preußen und die römische Kirche. 199 
entfremdet, und die Mehrzahl seiner deutschen Katholiken wohnte in jenen 
Krummstabsländern des Westens, die von Altersher den Kern der römischen 
Macht auf deutschem Boden bildeten, dicht neben dem Paradiese der 
Priester, den vormals spanischen Niederlanden. Zwei von den drei geist- 
lichen Kurfürstenthümern des heiligen Reichs, Köln und Trier, gehörten 
jetzt fast ganz zu Preußen, dazu Theile von Mainz und die beiden Hoch- 
burgen der clericalen Gesinnung im Norden, Paderborn und Münster. 
Sogar der altbairische Katholicismus stand dem modernen Staate nicht 
so feindselig gegenüber, denn er war seit Jahrhunderten an die scharf 
gehandhabte Kirchenhoheit eines volksbeliebten rechtgläubigen Fürstenhauses 
gewöhnt. In den geistlichen Fürstenthümern galt die Landeshoheit immer 
nur als Zubehör und Ausstattung des bischöflichen Amts, und ganz 
unfaßbar schien hier der Gedanke, daß der dienende Staat sich jemals 
über seine Herrin, die Kirche erheben sollte. Selbst die Revolution hatte 
diese tief eingewurzelten kirchenpolitischen Ansichten des rheinischen Volks 
nur erschüttert, nicht zerstört. Die gestrenge Kirchenhoheit des Bona- 
partismus ward ertragen, weil Niemand der Herrschaft des Säbels zu 
widersprechen wagte und weil Napoleon der mächtige Schirmvogt der 
römischen Kirche war. Sobald aber die Behörden des protestantischen 
Preußenkönigs ihr friedliches Regiment antraten, begegneten sie überall 
dem Mißtrauen des katholischen Volkes. Eben hier im Nordwesten, in 
den kirchlich gemischten clevisch-märkischen Landschaften hatte die junge 
Monarchie der Hohenzollern vor zweihundert Jahren ihre duldsame Kirchen- 
politik zum ersten male bethätigt; jetzt erwuchs ihr die ungleich schwierigere 
Aufgabe, auch die Kernlande der katholischen Glaubenseinheit und der 
theokratischen Weltanschauung an das gemeine Recht eines paritätischen 
Staates zu gewöhnen. Alle Feinde Deutschlands hielten das Unternehmen 
für aussichtslos und hofften zuversichtlich, an dem Dangergeschenke dieser 
westlichen Provinzen werde Preußen zu Grunde gehen. 
In solcher Lage mußte die preußische Krone jeden unnützen Streit mit 
dem Papste zu vermeiden suchen, und sie täuschte sich nicht darüber, daß sie 
eine förmliche Anerkennung ihrer Kirchenhoheit von Seiten der Curie 
niemals erlangen konnte. Unter Friedrich dem Großen hatte der römische 
Stuhl die oberstbischöfliche Gewalt der Landesherrschaft, die er in Oester- 
reich zur Zeit Joseph's II. leidenschaftlich bekämpfte, stillschweigend ertragen, 
weil er wohl wußte, daß diese starke Krone seiner gläubigen Heerde eine 
Freiheit gewährte, wie kein anderer protestantischer Fürst jener Tage. In- 
zwischen hatte sich die Welt verwandelt. Die Gleichberechtigung der 
Confessionen war überall in Deutschland anerkannt, und die Bundesakte 
bestimmte ausdrücklich, daß die Verschiedenheit der christlichen Religions- 
parteien keinen Unterschied im Genusse der politischen Rechte begründen 
dürfe. Die Secularisationen hatten den Reichthum der deutschen Kirche 
zerstört, aber auch die Macht des Papstes gegenüber dem besitzlosen Clerus
	        
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