16 III. 1. Die Wiener Conferenzen.
der Vorschrift jenes Art. 7 der Bundesakte, der für alle Grundgesetze und
organischen Einrichtungen Einstimmigkeit verlangte, und der einzige Segen
der langen Berathung war eine unklare Erläuterung des unklaren Aus-
drucks „organische Einrichtungen“; er sollte bedeuten: „bleibende Anstalten
als Mittel zur Erfüllung der ausgesprochenen Bundeszwecke."
Ebenso kümmerlich war das Ergebniß der mühsamen Verhandlungen
über die sogenannte „permanente Instanz“. Wie seltsam hatten doch die
Rollen gewechselt. Dies Preußen, das auf dem Wiener Congresse am
eifrigsten für ein stehendes Bundesgericht gestritten hatte, berief sich nun-
mehr ebenso nachdrücklich wie der alte Gegner des Bundesgerichts, Baiern,
auf den Wortlaut der Bundesakte und stellte den Antrag: da das Bundes-
recht nur ein Austrägalverfahren kenne, so möge jede Stimme des
engeren Rathes einen namhaften Juristen zum Austrägalrichter er-
nennen; aus diesen siebzehn sollten darauf die streitenden Parteien in
jedem einzelnen Falle fünf Richter erwählen; dann sei doch einige Gewähr
für die Unparteilichkeit des Schiedsspruchs gegeben. Metternich hingegen,
der vor fünf Jahren das Bundesgericht bereitwillig dem Widerspruche
Baierns geopfert hatte, unterstützte jetzt insgeheim die norddeutschen Klein-
staaten, die allesammt mit verdächtigem Eifer nach einem stehenden Bundes-
tribunale verlangten.
Alle Mitglieder der Conferenzen wußten, wo der Schlüssel zu diesem
Räthsel lag. Der ganze Streit galt in Wahrheit nicht dem Bundes-
gerichte, sondern dem preußischen Zollgesetze, das wie eine drohende Wolke
über den kleinen Nachbarn hing. Weil die regelmäßige Rechtspflege nicht
zu den Befugnissen des Bundes gehörte, so sollte die geplante perma-
nente Instanz auch nicht, wie Humboldt noch vor fünf Jahren gehofft, an
die Stelle des alten Reichskammergerichts treten, sondern lediglich die
Streitigkeiten zwischen den Bundesstaaten entscheiden. Welch ein Glück
nun für Kurhessen, Nassau, Mecklenburg, Anhalt und die thüringischen
Staaten, wenn sie ihre zahllosen Beschwerden wider das preußische Zoll-
wesen vor ein stehendes Bundesgericht bringen konnten, das aus sechzehn
Nichtpreußen und einem Preußen bestehen sollte! So mochte vielleicht das
gefürchtete preußische Enclavensystem auf dem Wege des Civilprocesses
unblutig beseitigt werden. Nicht ohne Ironie erwiderte Küster: ein stän-
diges Bundestribunal mit so beschränktem Wirkungskreise „würde die
meiste Zeit vergebens sitzen und harren, vielleicht gar durch sein Dasein
eine Proceßsucht erwecken und nähren"“. Da Preußen und Baiern un-
erschütterlich blieben, so beruhigte man sich endlich „einstweilen“ bei der
bestehenden Austrägalordnung von 1817, welche die Entscheidung der
Streitigkeiten dem obersten Gerichtshofe eines von beiden Parteien ge-
wählten Bundesstaates anheimgab. Bernstorff war mit seinem Erfolge
nur halb zufrieden; er wußte wohl, wie wenig sich ein gewöhnliches Ober-
landesgericht zur Beurtheilung schwieriger staatsrechtlicher Fragen eigne;