Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

16 III. 1. Die Wiener Conferenzen. 
der Vorschrift jenes Art. 7 der Bundesakte, der für alle Grundgesetze und 
organischen Einrichtungen Einstimmigkeit verlangte, und der einzige Segen 
der langen Berathung war eine unklare Erläuterung des unklaren Aus- 
drucks „organische Einrichtungen“; er sollte bedeuten: „bleibende Anstalten 
als Mittel zur Erfüllung der ausgesprochenen Bundeszwecke." 
Ebenso kümmerlich war das Ergebniß der mühsamen Verhandlungen 
über die sogenannte „permanente Instanz“. Wie seltsam hatten doch die 
Rollen gewechselt. Dies Preußen, das auf dem Wiener Congresse am 
eifrigsten für ein stehendes Bundesgericht gestritten hatte, berief sich nun- 
mehr ebenso nachdrücklich wie der alte Gegner des Bundesgerichts, Baiern, 
auf den Wortlaut der Bundesakte und stellte den Antrag: da das Bundes- 
recht nur ein Austrägalverfahren kenne, so möge jede Stimme des 
engeren Rathes einen namhaften Juristen zum Austrägalrichter er- 
nennen; aus diesen siebzehn sollten darauf die streitenden Parteien in 
jedem einzelnen Falle fünf Richter erwählen; dann sei doch einige Gewähr 
für die Unparteilichkeit des Schiedsspruchs gegeben. Metternich hingegen, 
der vor fünf Jahren das Bundesgericht bereitwillig dem Widerspruche 
Baierns geopfert hatte, unterstützte jetzt insgeheim die norddeutschen Klein- 
staaten, die allesammt mit verdächtigem Eifer nach einem stehenden Bundes- 
tribunale verlangten. 
Alle Mitglieder der Conferenzen wußten, wo der Schlüssel zu diesem 
Räthsel lag. Der ganze Streit galt in Wahrheit nicht dem Bundes- 
gerichte, sondern dem preußischen Zollgesetze, das wie eine drohende Wolke 
über den kleinen Nachbarn hing. Weil die regelmäßige Rechtspflege nicht 
zu den Befugnissen des Bundes gehörte, so sollte die geplante perma- 
nente Instanz auch nicht, wie Humboldt noch vor fünf Jahren gehofft, an 
die Stelle des alten Reichskammergerichts treten, sondern lediglich die 
Streitigkeiten zwischen den Bundesstaaten entscheiden. Welch ein Glück 
nun für Kurhessen, Nassau, Mecklenburg, Anhalt und die thüringischen 
Staaten, wenn sie ihre zahllosen Beschwerden wider das preußische Zoll- 
wesen vor ein stehendes Bundesgericht bringen konnten, das aus sechzehn 
Nichtpreußen und einem Preußen bestehen sollte! So mochte vielleicht das 
gefürchtete preußische Enclavensystem auf dem Wege des Civilprocesses 
unblutig beseitigt werden. Nicht ohne Ironie erwiderte Küster: ein stän- 
diges Bundestribunal mit so beschränktem Wirkungskreise „würde die 
meiste Zeit vergebens sitzen und harren, vielleicht gar durch sein Dasein 
eine Proceßsucht erwecken und nähren"“. Da Preußen und Baiern un- 
erschütterlich blieben, so beruhigte man sich endlich „einstweilen“ bei der 
bestehenden Austrägalordnung von 1817, welche die Entscheidung der 
Streitigkeiten dem obersten Gerichtshofe eines von beiden Parteien ge- 
wählten Bundesstaates anheimgab. Bernstorff war mit seinem Erfolge 
nur halb zufrieden; er wußte wohl, wie wenig sich ein gewöhnliches Ober- 
landesgericht zur Beurtheilung schwieriger staatsrechtlicher Fragen eigne;
	        
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