Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

Die gemischten Ehen. 411 
Gewalt kein neues Zugeständniß mehr zu gewähren. Eine reine unzwei— 
deutige Verständigung zwischen diesen herrischen Ansprüchen und den 
unveräußerlichen Rechten der souveränen Staatsgewalt blieb unmöglich. 
Es gab für den Staat nur einen Weg um zugleich seine Hoheitsrechte 
zu wahren, die Gleichberechtigung der Bekenntnisse zu schützen und den 
katholischen Priestern Gewissensbedrängnisse zu ersparen: wenn er die 
Eheschließung durch seine eigenen Beamten vollzog und der Kirche frei 
stellte, der rechtsgiltigen Ehe nachträglich ihren Segen zu geben oder zu 
versagen. Dies einzig wirksame Mittel lag in Preußen nahe zur Hand, 
da die Civil-Ehe in den Ländern des rheinischen Rechts bereits bestand, 
aber weder die Krone noch der Clerus wollte davon ernstlich Gebrauch 
machen. Die Kirche verdammte die bürgerliche Ehe als Ausgeburt des 
jacobinischen Heidenthums; sie hieß es willkommen, wenn der Staat ihr 
seinen dienenden Arm lieh um die kirchliche Eheschließung überall zu 
erzwingen, nur sollte er auch ihr päpstliches Eherecht anerkennen. Am 
Berliner Hofe urtheilte man kaum weniger hart über dies Vermächtniß 
der Revolution, am härtesten der König selbst, der es seinem Luther hoch 
anrechnete, daß erst durch die Reformation die kirchliche Einsegnung der 
Ehe zur allgemeinen christlichen Sitte geworden war. Im Justizministerium 
bestand längst die Absicht, die Civil-Ehe am Rhein spätestens durch die Re- 
vision des allgemeinen Landrechts wieder abzuschaffen. Auch dem Rechts- 
bewußtsein des Volkes war diese französische Erfindung noch ganz fremd; 
ein Bedürfniß darnach schien in Deutschland nicht vorzuliegen, da seit 
dem Westphälischen Frieden ein ernster Streit wegen der gemischten Ehen 
kaum vorgekommen war. 
Erst weit später, erst durch die bitteren Erfahrungen des preußischen 
Kirchenstreits gelangte die öffentliche Meinung zu der Einsicht, daß ein 
paritätisches Volk um des confessionellen Friedens willen der Civil-Ehe 
bedarf. Damals galt der großen Mehrheit der Deutschen nur die kirch- 
lich eingesegnete Ehe für vollkommen rechtmäßig. Auch die Rheinländer 
dachten nicht anders, und die preußische Krone hielt sich daher für befugt, 
die Bedingungen der kirchlichen Eheschließung auch in den Ländern des 
rheinischen Rechts durch Staatsgesetze vorzuschreiben. In den östlichen 
Provinzen galt seit dem Jahre 1803 unangefochten die gesetzliche Vor- 
schrift, daß die Kinder gemischter Ehen dem Bekenntniß des Vaters folgen 
sollten; in den Landschaften des Westens dagegen bestand noch eine Fülle 
von verschiedenen kirchlichen Vorschriften, welche die Einsegnung gemischter 
Ehen erschwerten oder sie nur gegen das Versprechen katholischer Kinder- 
erziehung gestatteten. Nach wiederholten vergeblichen Verboten und Er- 
mahnungen befahl der König durch die Cabinetsordre vom 17. August 
1825, daß jene Declaration vom Jahre 1803 fortan in allen Provinzen 
befolgt werden solle. Seine Minister glaubten in ihrer naiven Unkenntniß 
katholischer Verhältnisse, hiermit sei endlich ein sicherer, gleichmäßiger
	        
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