Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

412 III. 6. Preußische Zustände nach Hardenberg's Tod. 
Rechtszustand für das gesammte Staatsgebiet geschaffen; denn nach pro- 
testantischer Logik schien es undenkbar, daß die römische Kirche ein Gesetz, 
das sie in Schlesien seit zwanzig Jahren unweigerlich befolgte, in West- 
phalen und am Rhein bekämpfen sollte. Man mußte jedoch bald lernen, 
daß Rom niemals freiwillig einen Besitzstand aufgiebt. Die rheinischen 
Priester umgingen das neue Gesetz, unbekümmert um das gute Beispiel 
ihrer schlesischen Amtsbrüder. Sie verweigerten die Einsegnung gemischter 
Ehen ohne Angabe von Gründen, da sie nicht mehr wagten, den Braut- 
leuten das förmliche Versprechen der katholischen Kindererziehung abzu- 
fordern; und selbst die wohlmeinenden Bischöfe Spiegel und Hommer 
vermochten dem Unwesen nicht zu steuern, weil die in den rheinischen 
Krummstabslanden noch bestehenden alten kirchlichen Vorschriften ohne 
päpstlichen Dispens nicht abgeändert werden durften. 
Da bot sich ein Helfer in der Noth: der neue Vertreter Preußens 
beim römischen Hofe, C. K. Josias Bunsen. Was hätte er sich damals 
auch nicht zugetraut, dieser Liebling des Glücks, in den ersten Jahren 
seiner vielbeneideten Erfolge! In kleinen Verhältnissen aufgewachsen, dann 
durch Niebuhr in die diplomatische Laufbahn eingeführt und nach wenigen 
Jahren schon des Meisters Nachfolger, errang er sich in der römischen 
Gesellschaft bald eine günstige Stellung durch das stärkste und wirksamste 
seiner mannigfaltigen Talente, die ganz eigenthümliche Kunst belebender 
und anregender Unterhaltung. In dem Palaste Caffarelli auf der Höhe 
des Capitols, wo die preußische Gesandtschaft jetzt hauste, fand sich Alles 
zusammen, was die Weltstadt an geistreichen Menschen, Fremden und Ein- 
heimischen beherbergte, und noch nach langen Jahren gedachten alle alten 
„Capitoliner", wo immer in der Welt sie einander begegneten, mit dank- 
barer Freude jener prunklosen und doch so reizvollen Geselligkeit, deren 
sie einst bei Bunsen und seiner edlen Frau, einer vornehmen Engländerin 
genossen hatten. Der Hausherr, ein bildschöner Mann mit leuchtenden 
Prophetenaugen, wußte aus der Fülle seiner Gedanken und seiner allseitigen 
Belesenheit jedem Gaste etwas zu bieten. Die jungen Talente unter 
den Künstlern und Gelehrten schlossen sich ihm begeistert an, er förderte 
ihre Entwicklung mit feinsinnigem Verständniß, und sie ließen sichs gern 
gefallen, daß er die Ideen seiner Schützlinge ganz unbedenklich in Wort 
und Schrift für sich selber ausnutzte. Das zweifellose Selbstgefühl, das 
aus jeder seiner Mienen sprach, heischte und erzwang Bewunderung; nur 
selten einmal wagte ein unbefangenes Weltkind flüsternd zu bemerken, 
dies ewige feierliche Pathos werde auf die Dauer doch langweilig. 
Von dem europäischen Ruhme seiner Vorgänger Humboldt und Nie- 
buhr fiel ein Abglanz zurück auf Bunsew's jugendlichen Scheitel; die nam- 
haften Fremden, die sich seiner Gastfreundschaft erfreut, die Engländer 
zumal, erzählten überall von dem Zauber seines Umgangs und der Un- 
ermeßlichkeit seines Wissens. So ward er berühmt noch bevor er Erheb-
	        
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