Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

46 III. 1. Die Wiener Conferenzen. 
bestimmt immer zu herrschen, und wenn es das Scepter der Macht ver- 
loren hat, so hat es doch das Scepter der öffentlichen Meinung bewahrt.“ 
Vor dem Secepterträger der öffentlichen Meinung fand Preußen, wie 
billig, keine Gnade. Auf diesem Wege der Usurpationen, rief Bignon, 
ist das Haus der Capetinger einst schrittweis dahin gelangt, die großen 
Vasallen Frankreichs zu vernichten. Treuherzig sprach der deutsche Liberale 
die Warnung des Bonapartisten nach. 
Auch die Mehrheit am Bundestage kam der Klage des Köthener Hofes, 
die selbst nach der Freigebung jenes Elbschiffes nicht zurückgezogen wurde, 
bereitwillig entgegen. Umsonst verwahrte sich König Friedrich Wilhelm, 
als er im Sommer 1821 durch Frankfurt kam, mit scharfen Worten 
wider den Vorwurf, daß er Anhalt mediatisiren wolle. Die kleinen Höfe 
ließen sich's nicht ausreden: Preußen wünsche, wie Berstett sich ausdrückte, 
„seine geographische Dünnleibigkeit auf Kosten einiger Kleineren zu arron- 
diren“. Der neu ernannte badische Bundesgesandte Blittersdorff und die 
Klügeren seiner Genossen wußten wohl, wie wenig „bei dem bekannten 
Charakter des Herzogs oder vielmehr der Frau Herzogin“ auf ein ver- 
ständiges Abkommen zu rechnen sei; doch sie meinten, „dies sei die Gelegen- 
heit für den Bundestag, seine Dauer und Lebenskraft zu erproben".)) Es 
galt, Preußen zu demüthigen vor einem ohnmächtigen Nachbarn; es galt, 
der norddeutschen Großmacht zu beweisen, daß sie, nach Marschall's Worten, 
ebenso sehr durch Köthen geschützt werde, wie Köthen durch Preußen. Von 
den größeren Bundesstaaten zeigte allein Baiern ein Verständniß für die 
Machtverhältnisse; nachdem die Münchener Regierung soeben selber die 
Schwierigkeiten der Einführung eines neuen Zollsystems kennen gelernt 
hatte, meinte sie doch, daß ein kleiner Unterschied bestehe zwischen einem 
Reiche und einer Enclave. Die anderen beurtheilten die Frage nach den 
Gesichtspunkten des Civilprocesses, und da die Rechtsfrage allerdings zweifel- 
haft lag, so entspann sich am Bundestage eine grimmige Fehde, die durch 
viele Jahre hingeschleppt den liberalen Zeitungen immer wieder den will- 
kommenen Anlaß bot, Preußen als den Friedensbrecher Deutschlands zu 
brandmarken. 
Das also war für Preußen das Ergebniß der handelspolitischen Ver- 
handlungen in Wien und Dresden. Das neue Zollgesetz war gegen den 
Widerstand fast aller Bundesstaaten unverändert aufrecht geblieben, auch 
die Freiheit der Elbe war nothdürftig sicher gestellt, und die alte Ansicht 
der preußischen Regierung, daß der Bund für den deutschen Verkehr 
schlechterdings nichts zu leisten vermöge, hatte sich abermals bestätigt. 
Aber ebenso fest stand auch die Erkenntniß, daß Verhandlungen mit den 
einzelnen Staaten, bei ihrer gegenwärtigen Stimmung, vorläufig ganz 
aussichtslos waren. Welche unbelehrbare Gehässigkeit war dem Grafen 
  
*) Blittersdorff's Berichte, Frankfurt 30. Jan., 27. Juni 1821.
	        
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