46 III. 1. Die Wiener Conferenzen.
bestimmt immer zu herrschen, und wenn es das Scepter der Macht ver-
loren hat, so hat es doch das Scepter der öffentlichen Meinung bewahrt.“
Vor dem Secepterträger der öffentlichen Meinung fand Preußen, wie
billig, keine Gnade. Auf diesem Wege der Usurpationen, rief Bignon,
ist das Haus der Capetinger einst schrittweis dahin gelangt, die großen
Vasallen Frankreichs zu vernichten. Treuherzig sprach der deutsche Liberale
die Warnung des Bonapartisten nach.
Auch die Mehrheit am Bundestage kam der Klage des Köthener Hofes,
die selbst nach der Freigebung jenes Elbschiffes nicht zurückgezogen wurde,
bereitwillig entgegen. Umsonst verwahrte sich König Friedrich Wilhelm,
als er im Sommer 1821 durch Frankfurt kam, mit scharfen Worten
wider den Vorwurf, daß er Anhalt mediatisiren wolle. Die kleinen Höfe
ließen sich's nicht ausreden: Preußen wünsche, wie Berstett sich ausdrückte,
„seine geographische Dünnleibigkeit auf Kosten einiger Kleineren zu arron-
diren“. Der neu ernannte badische Bundesgesandte Blittersdorff und die
Klügeren seiner Genossen wußten wohl, wie wenig „bei dem bekannten
Charakter des Herzogs oder vielmehr der Frau Herzogin“ auf ein ver-
ständiges Abkommen zu rechnen sei; doch sie meinten, „dies sei die Gelegen-
heit für den Bundestag, seine Dauer und Lebenskraft zu erproben".)) Es
galt, Preußen zu demüthigen vor einem ohnmächtigen Nachbarn; es galt,
der norddeutschen Großmacht zu beweisen, daß sie, nach Marschall's Worten,
ebenso sehr durch Köthen geschützt werde, wie Köthen durch Preußen. Von
den größeren Bundesstaaten zeigte allein Baiern ein Verständniß für die
Machtverhältnisse; nachdem die Münchener Regierung soeben selber die
Schwierigkeiten der Einführung eines neuen Zollsystems kennen gelernt
hatte, meinte sie doch, daß ein kleiner Unterschied bestehe zwischen einem
Reiche und einer Enclave. Die anderen beurtheilten die Frage nach den
Gesichtspunkten des Civilprocesses, und da die Rechtsfrage allerdings zweifel-
haft lag, so entspann sich am Bundestage eine grimmige Fehde, die durch
viele Jahre hingeschleppt den liberalen Zeitungen immer wieder den will-
kommenen Anlaß bot, Preußen als den Friedensbrecher Deutschlands zu
brandmarken.
Das also war für Preußen das Ergebniß der handelspolitischen Ver-
handlungen in Wien und Dresden. Das neue Zollgesetz war gegen den
Widerstand fast aller Bundesstaaten unverändert aufrecht geblieben, auch
die Freiheit der Elbe war nothdürftig sicher gestellt, und die alte Ansicht
der preußischen Regierung, daß der Bund für den deutschen Verkehr
schlechterdings nichts zu leisten vermöge, hatte sich abermals bestätigt.
Aber ebenso fest stand auch die Erkenntniß, daß Verhandlungen mit den
einzelnen Staaten, bei ihrer gegenwärtigen Stimmung, vorläufig ganz
aussichtslos waren. Welche unbelehrbare Gehässigkeit war dem Grafen
*) Blittersdorff's Berichte, Frankfurt 30. Jan., 27. Juni 1821.