Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

536 III. 7. Altständisches Stillleben in Norddeutschland. 
der neuen Lehre zu; Ernst von Lüneburg gesellte seinen Namen zu der 
erlauchten Schaar der Bekennerfürsten des Evangeliums, aber in den 
Entscheidungskämpfen der Zeit vermochte das zerspaltene Haus wenig aus- 
zurichten. Auch nachdem die lutherische Lehre in allen welfischen Landen 
zur Herrschaft gelangt war, überraschte der dreißigjährige Krieg die Welfen 
wieder in rathloser Zwietracht; hin und her geschleudert zwischen den 
Parteien, liefen sie Gefahr, ihr Stammland an die Condottieri der katho- 
lischen Liga zu verlieren oder ganz in die Botmäßigkeit Schwedens zu 
gerathen. 
Inmitten dieser Bedrängniß begann das Fürstengeschlecht sich endlich 
wieder aufzuraffen. In Herzog Georg erstand der neuen calenbergischen 
Linie ein kluger Stammhalter, der sein Land beisammen hielt und Han- 
nover zur bleibenden Hauptstadt erhob. Wie in allen großen deutschen 
Fürstengeschlechtern so ward auch im welfischen Hause durch ein seltsames 
Spiel des Schicksals der jüngeren Linie die größere Macht beschieden. Auf 
dem Westphälischen Friedenscongresse stritt der welfische Kanzler Lampa- 
dius, mit Brandenburg vereint, tapfer für die unbedingte Gleichberechti- 
gung der drei Bekenntnisse. Fortan hob sich das Ansehen des Geschlechts. 
Seine Fürsten trieben im Reiche gemeinsam eine vorsichtige Hauspolitik, 
die sich glatt zwischen Brandenburg und Schweden, Oesterreich und Frank- 
reich hindurchwand und immer bemüht war „keine Ombrage zu geben“. 
Zugleich erstarkte die fürstliche Gewalt im Innern und deckte sich durch 
ein stehendes Heer. Ernst August, der letzte Welfe, der noch etwas von 
der staatsmännischen Kühnheit Heinrich's des Löwen geerbt hatte, erwarb 
sodann den Kurhut, sicherte das Erbfolgerecht des Erstgeborenen und berei- 
tete durch ein gewandtes diplomatisches Spiel die neue Zeit des Glanzes 
vor, welche unter seinem Nachfolger dem welfischen Hause aufgehen sollte. 
Ueber die Schultern von vierundfünfzig näheren Verwandten hinweg bestieg 
Georg I. den Thron der Stuarts, und fast gleichzeitig ward sein deutscher 
Kurstaat abgerundet, das Haus Lüneburg mit dem Calenbergischen ver- 
einigt, das wichtige Küstenland Bremen und Verden aus dem Schiffbruch 
der schwedisch-deutschen Großmacht für Kurhannover erworben. 
Mit stolzer Freude verfolgte das hannoversche Volk das Wiederauf- 
steigen seines Fürstenhauses. Niemand bemerkte, wie wenig dies revolu- 
tionäre Schattenkönigthum von Parlamentes Gnaden bedeutete, noch welche 
klägliche Rolle die erbliche Mittelmäßigkeit der vier George in den Kämpfen 
der britischen Adelsparteien spielte. Da die englische Aristokratie die äußere 
Würde der Krone klug zu schonen wußte, und die Bevölkerung der kleinen 
deutschen Territorien überhaupt noch keinen Staat kannte, sondern nur 
Land und Leute fürstlicher Geschlechter, so wähnten die Hannoveraner alles 
Ernstes, Englands Macht sei die Macht des welfischen Hauses. Die deut- 
schen Großbritannier fühlten sich mit dem Inselvolke durch gemeinsame 
Unterthanenschaft verbunden, sie sonnten sich behaglich an dem Glanze
	        
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