Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

552 III. 7. Altständisches Stillleben in Norddeutschland. 
gefühl auch in diesem halbenglischen Heere sein gutes Recht. Die Tage 
des Reislaufens waren vorüber. Auf das Verlangen des Landtags ver— 
sprach die Krone, die hannoverschen Truppen niemals mehr für fremde 
Zwecke zu benutzen, und diese Zusage konnte in so friedlicher Zeit leicht 
gehalten werden. Canning beabsichtigte zwar einmal, hannoversche Regi- 
menter zur Besetzung von Portugal zu verwenden, gab aber den Plan 
bald wieder auf, als der französische Gesandte Reinhard in Frankfurt Lärm 
schlug und der Bundestag unruhig wurde.)) Ein Gesetz über die Dienst- 
pflicht bestand noch nicht; die Aushebung erfolgte, oft sehr willkürlich, nach 
dem freien Ermessen der Behörden. Nur bei der Reiterei traten die 
Bauerburschen gern ein; denn die Cavalleristen mit ihren schönen Rossen 
wurden auf den Bauerhöfen, womöglich bei ihren Verwandten einquartiert, 
und oft dienten Vater, Sohn und Enkel nach einander bei derselben 
Schwadron. Die Regimenter waren klein, damit nach Landesbrauch eine 
große Zahl von Stabsoffizieren angestellt werden konnte. 
Mit den preußischen Kampfgenossen von Belle Alliance verkehrte die 
Armee wenig und ohne Herzlichkeit; denn nach der welfischen Ueberliefe- 
rung hatten die Briten und Hannoveraner allein gesiegt, die Preußen nur 
ein wenig nachgeholfen, waren doch die letzten Trümmer der Kaisergarde 
durch die Osnabrücker Landwehr vernichtet worden. Die Waffenbrüder- 
schaft aus dem siebenjährigen Kriege war vergessen; um so lebhafter ge- 
dachte man der Einverleibung vom Jahre 1806, die selbst durch die Thaten 
des Befreiungskrieges nicht gesühnt schien. Wenn ein junger Mann aus 
den alten Soldatengeschlechtern zu der Erkenntniß kam, daß sein Welfen- 
reich doch nur eine preußische Enclave sei, und sich nach einem größeren 
Wirkungskreise sehnte, dann ging er regelmäßig in österreichische Dienste — 
ganz wie seine Standesgenossen in Mecklenburg und Sachsen — und half 
an seinem Theile mit, die alte, politisch so folgenreiche Verbindung zwischen 
der Hofburg und dem deutschen Adel zu befestigen. Dagegen galt es für 
ganz unerhört, daß General Hartmann seinen Sohn in das preußische 
Heer schickte und der trotzige junge Goeben bald nachher desselben Weges 
ging. Im Volke war der Groll gegen Preußen fast noch stärker. Ueberall 
wo altwelfisches und preußisches Gebiet an einander stießen, erklang zur 
Verhöhnung der preußischen Hungerleider das stolze Lied „Gut Wein 
und gut Bier! Lustige Hannoveraner sind wir,“ und die Raufhändel in 
den Grenzdörfern gingen oft sehr weit über das herkömmliche Maß deutscher 
nachbarlicher Zärtlichkeit hinaus. — 
Die Verhandlungen der Landstände verliefen still; das Volk beachtete 
sie kaum, das Königreich besaß noch keine einzige politische Zeitung. Insge- 
heim jedoch war eine Adelspartei sehr thätig, die von dem gewandten, ränke- 
süchtigen Geh. Rath v. Schele geleitet, mit ihren 26 Stimmen allen Re- 
  
*) Berichte von Blittersdorff, 24. Juli, von Meyern, Berlin 25. Sept. 1824.
	        
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