Schleswigholstein nach dem Befreiungskriege. 593
nachher Norwegen verloren ging, suchten die Dänen, begreiflich genug, die
letzten Trümmer ihrer alten Macht krampfhaft zusammenzuhalten. Da—
mals erst tauchte die vordem nie gehörte Behauptung auf, Schleswig sei
im Jahre 1721 unter das dänische Königsgesetz getreten. Das Herzog—
thum wurde von den Dänen jetzt wieder mit dem längst verschollenen
Namen Süderjütland bezeichnet. Gleichzeitig stellte ein dänischer Patriot,
„dem die Ehre der Landessprache am Herzen lag,“ die Preisfrage: wie
war die historische Entwicklung der beiden Sprachen in den Herzogthümern,
und „welches sind die Mittel, durch welche Süderjütland auch in Hinsicht
der Sprache eine dänische Provinz werden kann, wie es ehedem war?“
Angesichts dieser Anmaßungen bewahrten die Herzogthümer unwan-
delbar ihre gesetzliche Haltung. Hoffend auf bessere Tage fügte man sich
in das Unvermeidliche und entschuldigte Vieles mit der Bedrängniß der
Zeiten; man ehrte den geistlosen, aber wohlwollenden Friedrich VI., man
verwünschte mit ihm die Raubzüge der englischen Handelspolitik. Als im
December 1813 Bernadotte die Halbinsel besetzte und den Plan eines
Königreichs Cimbrien aufwarf, da fand sich in Schleswigholstein kein Mann
bereit die beschworene Verbindung mit Dänemark zu lösen. Die einge-
wanderten Gelehrten und einzelne Weiterblickende unter den Einheimischen
freuten sich wohl des Befreiungskrieges, jedoch die Masse des Volks stand
fest zu der Sache Napoleon's, weil sie ihres Königs Sache war. Viele
wackere, ganz deutsch gebildete Schleswigholsteiner hielten für Ehrenpflicht,
in der Politik unbedingt der dänischen Krone zu folgen: so Dahlmann's
Oheim Jensen, ein einflußreicher Beamter in der Kopenhagener schleswig-
holsteinischen Kanzlei; so der geistreiche Diplomat Rist, der nur mit Achsel-
zucken davon sprach, daß Niebuhr, durch einen wunderlichen „Kitzel“ ge-
trieben, aus dem freien Dänemark in „den Mechanismus“ des preußischen
Staatsdienstes hinübergegangen war. Selbst unter den Kieler Studenten
rief Dahlmann starken Widerspruch hervor, als er in seiner Rede auf die
Waterlooschlacht sagte, der Schleswiger habe immerdar Deutschland ange-
hört durch den verbrüderten Holsten. Eine Vorlesung über deutsche Geschichte
konnte er damals nicht zu Stande bringen; so stark war der Haß gegen
England, den Verbündeten der Deutschen. Noch eine Weile nach dem
Frieden pflegten die Hamburger und die Altonaer Straßenjungen als
Deutsche und Franzosen sehr erbittert mit einander zu raufen. Als
C. Th. Welcker in Kiel die Oktoberfeier zu Ehren der Leipziger Schlacht
veranstalten wollte, forderten einige Studenten alle treuen Unterthanen
des Königs auf, vielmehr das Gefecht von Sehestedt zu feiern, das die
dänisch-holsteinischen Regimenter im Winter 1813 gegen die Mecklenburger
und andere Truppen Bernadotte's rühmlichst bestanden hatten, und die
Holsten wurden darum von den deutschen Universitäten auf einige Zeit
in Verruf gethan. Erst nach und nach verrauchte dieser dänische Eifer;
dann aber schloß sich die holsteinische Jugend mit der ganzen Wärme
v. Treitschke, Deutsche Geschichte. III. 38