Schloßbrand in Braunschweig. 101
Steinen folgte dem davoneilenden Wagen. Vor dem Schlosse stand eine
Schar von Gaffern und Schreiern. Ein Offizier fragte: „Kinder, was
wollt ihr denn eigentlich?“ Die Leute sahen sich verwundert an, bis
endlich ein liberaler Advokat das neue Pariser Feldgeschrei anstimmte:
„Brot und Arbeit!“ und einige wohlgenährte Schüler des Carolinums
den Jammerruf wiederholten. Zwei Züge Husaren vertrieben dann
ohne Kampf die Menge von dem Bohlwege, gegenüber dem Schlosse.
Am nächsten Morgen wurden die Kanonen und das Pulver hin-
weggeschafft. Auf die Bitten der Bürger versprach der Herzog auch einen
kleinen Steuererlaß, sowie einige Geldsummen für Straßenbauten und
Lebensmittel; er gestattete sogar, daß eine mit Piken bewaffnete Bürger-
wehr zusammentrat, nur von der Berufung des Landtags wollte er nichts
hören. Am Abend stürmte wieder ein Pöbelhaufe gegen das Schloß
heran, berauscht und heulend, höchstens tausend Köpfe stark; die Piken-
männer der Bürgerwehr wurden bald zur Seite gedrängt. Der Herzog
aber wagte nicht, seine im Schloßhofe versammelten Truppen feuern zu
lassen; er ergriff nochmals die Flucht und ließ sich von seinen Husaren
zur Landesgrenze geleiten, um dann nach England zu reisen. Mittler-
weile drang der Pöbel in das Schloß ein und begann Feuer anzulegen;
während die Strolche plünderten, sah man einige offenbar verkleidete
Männer geschäftig die geheimen Papiere des Herzogs durchsuchen. Der
kommandierende Generalvon Herzberg, ein tapferer Veteran aus Wellingtons
spanischen Feldzügen, versäumte seine Soldatenpflicht, stundenlang ließ er
die Truppen ruhig im Schloßgarten stehen. Eine einzige ohne seinen
Befehl abgegebene Salve, die unschädlich über die Köpfe des Haufens
hinwegfuhr, genügte, um den Hof zu säubern und selbst die Räuber aus
dem Schlosse zu verjagen; aber als die Truppen dann wieder unbeweglich
blieben, wagte sich der Pöbel nochmals vor und begann sein Werk von
neuem. Die ganze Nacht hindurch währte die rohe Verwüstung, kein
Menschenleben fiel ihr zum Opfer; die Spritzen ließ der Haufe nicht
an das Schloß heran, und als die Grenadiere noch einen schwachen An-
griff auf den Meuterer unternahmen, versuchten sie nicht, ihren leichten
Sieg zu verfolgen. Beim Grauen des Tages lag das schöne Bauwerk
fast ganz in Asche.
Unverkennbar standen mehrere Männer aus dem Adel und dem
Beamtentum hinter diesem seltsamen unblutigen Aufruhr; gedungene
Banden und wüstes Gesindel besorgten die Arbeit, die erbitterte Bürger-
schaft sah halb schadenfroh, halb erschrocken der Zerstörung zu. Die
Namen der Verschwörer sind, obgleich einige Vermutungen sehr nahe
liegen, bis zum heutigen Tage verborgen geblieben, da die gerichtliche Unter-
*) Nach der mündlichen Erzählung eines der mitschreienden Schüler, der in
späteren Jahren ein wackerer Reichstagsabgeordneter war.