Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Vierter Teil. Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. (27)

154 IV. 2. Die konstitutionelle Bewegung in Norddeutschland. 
eine Schmähschrift „Anklage des Ministeriums Münster vor der öffentlichen 
Meinung“ unter der Hand verbreitet wurde, bald nachher auch gedruckt 
erschien — ein schwülstiges Machwerk aus der Feder des jungen Advo— 
katen König in Osterode. „Münster, Münster, Münster heißt der Alp, 
der uns drückt“ — darauf lief alles hinaus. Der allmächtige Minister 
wurde mit Attila, Nero, Pizarro, mit dem Hausmeier Pipin verglichen, 
weil er die befreiende soziale Gesetzgebung des Königreichs Westfalen 
aufgehoben, das Volk „schmählicherweise in die Leibeigenschaft zurückge— 
worfen“ und „dies in den Jahren 1808—1813 schön und herrlich auf- 
gerichtete Staatsgebäude mit ungeweihter Hand in einem Augenblicke 
wieder niedergerissen“ habe. Und so stark war schon die Erbitterung 
gegen den Starrsinn der welfischen Restaurationspolitik: dies Lob der 
einst tödlich verhaßten Fremdherrschaft machte einen tiefen Eindruck auf 
die kleinen Leute, zumal da der Libellist nur gegen die schrankenlose Ge- 
walt ministerieller Willkür eiferte und ehrfurchtsvoll beteuerte: „Wilhelm 
unser Bürgerkönig weiß nichts davon.“ 
Am 5. Januar 1831 unternahmen Königs Landsleute in Osterode, 
einen revolutionären Gemeinderat und eine Kommunalgarde zu errichten; 
sie wollten dann „dem Bürgerkönig die unter allen nichtbeamteten Staats- 
bürgern herrschende Not“ nachdrücklich vorstellen und verkündeten in einem 
Manifeste neufranzösischen Stiles: „Möge unseren Enkeln und Urenkeln 
der 5. Januar als ein heiliges Geschenk ihrer edlen Väter und Urväter 
erhalten werden!“ Der kleine Aufruhr ward sogleich unterdrückt. Da 
zeigte sich plötzlich, daß die stürmische Zeit auch an dem gelehrten Still- 
leben der Georgia Augusta nicht spurlos vorübergegangen war. Ein Heiß- 
sporn der feudalen Partei, der in Göttingen lebte, Frhr. v. d. Knesebeck, 
hatte kürzlich in einer „Deutschlands erlauchten Souveränen“ gewidmeten 
Flugschrift alle Herzensgeheimnisse des welfischen Junkertums ausge- 
plaudert. Die Schrift trug das napoleonische Motto: „Wenn die Ca- 
naille die Oberhand gewinnt, so hört sie auf Canaille zu heißen, man 
nennt sie alsdann Nation;“ sie erklärte den Adel für die erste Stütze des 
Thrones, die durch ein Landesheroldsamt gesichert werden müsse, sie ver- 
langte ein Ordenszeichen für die Freunde der Legitimität, einen politischen 
Katechismus, der in den Schulen eingeprägt, von allen Staatsdienern 
beschworen werden sollte — kurz, es war nicht wunderbar, daß die akade- 
mische Jugend eines Abends ihren Unwillen an den Fensterscheiben des legi- 
timistischen Freiherrn ausließ und ihn zu schleuniger Abreise nötigte. Neue 
Aufregung unter den jugendlichen Gelehrten, als der Dekan der Juristen, 
der alte, den Zeitungsschreibern schon längst durch seine tiefe Gelehrsamkeit 
verdächtige Hugo, einer mehr liberalen als geistreichen Dissertation des 
Dr. Ahrens über den Deutschen Bund das Imprimatur verweigerte. 
In den Kreisen dieser jungen Dozenten und Advokaten entstand nun 
der tolle Plan, hier auf dem denkbar ungünstigsten Boden eine Revolution
	        
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