Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Vierter Teil. Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. (27)

744 XX. Preußen und das Bundeskriegswesen 1831. 
von Werner, der Vertraute Metternichs, und bat ihn, zu gestatten, daß ein österreichischer 
Offizier nach Berlin käme, um zunächst eine Verständigung zwischen den beiden Groß- 
mächten herbeizuführen. Peinlich überrascht, gab der König doch nach; eine solche Bitte 
des alten Bundesgenossen ließ sich ohne Beleidigung kaum abschlage:, zumal da die 
Kriegsgefahr im Augenblick nicht drohend war. Die süddeutschen Höfe wurden benach- 
richtigt, und im Septemberktraf General Graf Clam in Berlin ein, um mit Bernstorff, 
Krauseneck, Röder zu unterhandeln. Von neuem begann der alte Streit: Zweiteilung 
oder Dreiteilung des Bundesheeres? Die Verhandlungen rückten nicht von der Stelle; 
die Schuld lag, soweit ich sehen kann, wesentlich in der unausstehlichen Persönlichkeit 
des k. k. Bevollmächtigten, der immer redselig, bald anmaßend, bald freundschaftlich zu- 
dringlich, das Vertrauen der Preußen schlechterdings nicht zu gewinnen verstand und 
den kranken, reizbaren Bernstorff schließlich so ganz zur Verzweiflung brachte, daß der 
Minister im März 1832 sich von der Teilnahme an den Verhandlungen entbinden ließ. 
Clam zählte, wie Prokesch von Osten, zu jenen diplomatischen Scheingrößen des alten 
Österreichs, welche wohl in der Hofburg Bewunderung, unter deutschen Männern 
nur Widerwillen erregen konnten. Da Krauseneck und Rühle mit dem Österreicher 
nicht fertig wurden, soxgab der König seinem kaiserlichen Freunde einen neuen Beweis 
seiner Willfährigkeit und beauftragte den General Knesebeck, die Verhandlungen fort- 
zuführen. Aber auch dieser treu ergebene Verehrer des Wiener Hofes konnte von Preußens 
bescheidenen und sachlich wohlbegründeten Forderungen nur wenig nachlassen. Auch er 
verlangte die Aufstellung von drei Heeren; nur sollte das mittlere Heer, bei Mainz, die 
Hauptarmee bilden und zu gleichen Teilen aus Osterreichern, Preußen und Kleinstaats- 
truppen bestehen. So hätte OÖsterreich doch an zweien von den drei Heeren seinen An- 
teil erhalten. 
Diesem Vermittelungsvorschlage fügte sich Clam endlich, nachdem die Beratungen 
den ganzen Winter hindurch gewährt hatten, und nunmehr wurden zwei süddeutsche 
Generale auf den Mai 1832 zur Teilnahme eingeladen. Die Süddeutschen zeigten sich 
aber zäher als Preußen selbst; sie bestanden auf der Annahme des ursprünglichen preu- 
Hischen Planes, weil-sie nicht für möglich hielten, daß Osterreich die deutsche Mittelarmee 
durch beträchtliche Truppenmassen verstärken könnte. Im Juni wurden auch Sachsen 
und Hannover zugezogen; auch sie stimmten den Süddeutschen zu, und nun gab OÖster- 
reich gänzlich nach. Beim Abschluß der Verhandlungen, die sich bis zum Dezember 1832 
hinzogen, errang Preußen einen vollständigen Sieg. Seine Pläne wurden fast durchweg 
angenommen. Drei Heere sollten gebildet werden, zwei aus Preußen und Bundestruppen 
gemischte am Nieder= und Mittelrhein, ein österreichisches am Oberrhein. Das alles war 
freilich nur eine Verabredung für einen möglichen Kriegsfall, der niemals eintrat, und 
blieb so tief geheim, daß selbst der Bundesgesandte von Leonhardi in seiner halbamtlichen 
Geschichte der Bundeskriegsverfassung nichts darüber zu sagen wußte. 
Betrachtet man diese Verhandlungen nüchtern, so läßt sich ein tiefer politischer Sinn 
darin unmöglich erkennen. Droysen behauptet zwar, Preußen habe „die politische Seite“ 
seiner Entwürfe geopfert, um die militärische zu retten; er sagt aber nirgends, worin 
die „politische Seite“ bestanden haben solle, und auch mir ist es trotz langem Suchen 
nicht gelungen, in irgend einem der preußischen Aktenstücke einen politischen Hintergedanken 
zu entdecken. Der Berliner Hof verfolgte nur die bescheidene Absicht, den nächsten Bundes- 
krieg, wenn er kam, also einzuleiten, daß mindestens für die Hauptmasse des Bundes- 
heeres die Einheit der Führung notdürftig gesichert würde. Darum wollte Preußen 
das Nordheer unmittelbar, die zweite Armee mittelbar, durch seinen Einfluß auf die be- 
freundeten Südstaaten, leiten und nur die dritte Armee der Führung Osterreichs an- 
heimgeben. Dieser bescheidene militärische Zweck ward auf den Berliner Konferenzen, 
nach mannigfachen Schwankungen, vollständig erreicht. Einen höheren Ehrgeiz konnte 
Preußen zurzeit nicht hegen; denn wer durfte für möglich halten, daß die beiden auf 
ihre Souveränität gleich eifersüchtigen Könige von Bayern und Württemberg oder gar
	        
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