74 IV. 1. Die Juli-Revolution und der Weltfriede.
befestigt, und es ward abermals schwer erschüttert, als die Franzosen alle-
samt die verhüllte oder unverhüllte Einverleibung Belgiens verlangten;
überall hörte man die Frage, ob der König nicht durch übermäßige Geduld
den gallischen Hochmut geradezu herausfordere. Unter den Eindrücken
dieser rheinischen Befürchtungen verfaßte Arndt zu Anfang des Jahres
seine Flugschrift: Die Frage über die Niederlande und die Rheinlande —
ein Büchlein, das allein schon hätte genügen sollen, den treuen Mann von
dem Verdachte des Demagogentums zu reinigen. „Wir hatten das Füchs-
lein vor sechzehn Jahren in den Eisen, und es war mit Schwanz
und Klauen fest“ — so begann er seine grelle Schilderung der insge-
heim bohrenden und wühlenden französischen Politik; freimütig hielt er
den deutschen Liberalen ihre welsche Verbildung vor. Königlicher als
sein König wollte er in der belgischen Erhebung nichts weiter sehen, als
ein von Frankreich angezetteltes höllisches Gaukelspiel, und verlangte durch-
aus, daß die Narren und Narrengenossen in Brüssel zu dem Hause
Oranien zurückkehren müßten, sonst verfalle Belgien rettungslos der
Herrschaft Frankreichs. —
Da erfolgte in Paris eine friedliche Wendung, welche deutlich zeigte,
daß die Dinge so verzweifelt doch nicht standen. Das Julikönigtum be-
gann sich im Innern zu befestigen. Bereits war Lafayette von seiner ge-
fährlichen Stellung an der Spitze der Nationalgarde verdrängt. Im März
wurde das Ministerium der Bewegungspartei gestürzt, und der Führer
des Juste milien, Casimir Perier, trat ans Ruder, ein reicher Kaufherr,
der aus Erfahrung wußte, daß große Geschäfte durch kleine Schliche
nicht gefördert werden, ein Mann der strengen gesetzlichen Ordnung, stolz
und unbiegsam, herrisch genug, um zugleich die Ränke des Monarchen
und die Leidenschaften der Radikalen niederzuzwingen, friedliebend von
Grund aus, aber auch fest entschlossen, der Würde seines Landes nichts
zu vergeben — alles in allem der größte politische Charakter unter den
Staatsmännern des Julikönigtums. Die wüsten Träume der revolu-
tionären Propaganda wies er weit von sich: die Freiheit soll stets national
sein, Frankreichs Blut gehört nur Frankreich an. Den großen Mächten
gegenüber sprach er sich bistimmt und offen aus — soweit ein Minister
dieses zwitterhaften Königtums aufrichtig sein konnte. Bald gewann er
Werthers Freundschaft, und der Berliner Hof bekannte, daß „Frankreich
durch seine Haltung und seine Grundsätze jetzt Vertrauen zu verdienen
beginne“. Selbst in Wien und Petersburg wurde die Friedenspolitik des
ehrlichen Bourgeois anerkannt, obgleich bei Metternich immer wieder der
stille Groll gegen das System des Juste milieu durchbrach — gegen
„diese rechte Mitte, die stets dem Guten feindlich ist und, wenn sie das
Böse nicht offen begünstigt, ihm doch zu schmeicheln sucht.““) Eine von
*) Ancillon, Weisungen an Schöler 5. Mai, an Maltzahn 30. Mai; Metternich
an Trauttmansdorff 9. August 1831.