96 V. 2. Die Kriegsgefahr.
Der Bundestag trieb unterdessen trotz der schweren Zeiten seine
gewohnte Kurzweil. Die Staaten der sechzehnten Kurie hatten bisher
an dem reichen Frankfurter v. Leonhardi einen überaus wohlfeilen gemein—
samen Bundesgesandten besessen, der die Geschäfte nur zu seinem Ver—
gnügen führte, und zankten sich nunmehr, als dieser göttliche Philister
gestorben war, mit solcher Ausdauer über den Gehalt des Nachfolgers,
daß der Posten drei Jahre unbesetzt blieb. Der Landgraf von Homburg,
der im Jahre 1817 dem Bunde nachträglich beigetreten war, forderte
stürmisch das ihm gebührende Stimmrecht und erlangte endlich nach fünf—
undzwanzigjährigen Kämpfen Einlaß in die sechzehnte Kurie. Die Erne—
stiner konnten sich über den Vorrang bei der Unterschrift nicht einigen,
und ihr neuer Bundesgesandter mußte daher mit vier gleichlautenden
Vollmachten ausgerüstet werden.) Derweil man sich also vergnügte,
suchte Graf Münch, unbekümmert um die dringenden Mahnungen des
preußischen Gesandten mehrere Monate hindurch jede Beratung über die
Kriegsbereitschaft des Bundes zu vereiteln. Er wußte wohl, daß diese
Zögerung den stillen Wünschen fast aller kleinen Höfe entsprach; hatte
doch selbst König Ludwig von Bayern in Berlin vorsichtig erklären lassen:
erst wenn die Rüstung Süddeutschlands ganz vollendet sei, dürfe der
Bund in Paris eine Anfrage stellen.)
Endlich am 13. März 1841, acht Monate nach dem Juli-Vertrage,
beantragte Münch, die Militärkommission solle aufgefordert werden, über
die näheren Bedingungen der Kriegsbereitschaft ein Gutachten zu er-
statten. Voran ging ein langer Vortrag, dessen hochpatriotischer Ton
von dem dürftigen Inhalte lächerlich abstach: „die Pflicht sämtlicher
deutschen Regierungen, für die Ehre des deutschen Namens sowie für
die Sicherheit der Völker Deutschlands Sorge zu tragen, erheischt, daß
überall die Wehrkraft der Bundesstaaten allen eintretenden Wechselfällen
zu genügen im stande sei.“ Diese tiefsinnigen Worte hatte Metternich
selbst in den Präsidialvortrag eingefügt, an der Stelle eines etwas schär-
feren, von General Heß vorgeschlagenen Satzes.*“) Die Hofburg wollte
alles vermeiden, was dem Souveränitätsdünkel der kleinen Höfe auch nur
wie ein leiser Zwang erscheinen konnte. Natürlich wurde der Antrag,
unter den üblichen Dankesbezeigungen gegen die allezeit fürsorgliche Prä-
sidialmacht, pflichtschuldigst angenommen; die vertraulichen Eröffnungen
in Paris überließ man den beiden Großmächten. Es stand noch immer
wie in den Regensburger Zeiten. Der Bundestag durfte sich der ange-
nehmen Erwartung hingeben, daß sein Beschluß gar keine Folgen haben,
sondern entweder durch eine friedliche Wendung der europäischen Händel
oder durch eine Kriegserklärung Frankreichs überholt werden würde.
*) Berichte von Bülow, 15. Okt. 1841, von Schöler, 17. Okt. 1840.
“) Gise, königliche Weisung an Lerchenfeld, 20. Dez. 1840.
ot) Sydows Bericht, 13. März 1841.