Der Biebricher Rheindamm. 107
so schwunghafte Schiffahrt auf dem unteren Maine zu erlahmen begann,
eröffnete die Nassauer Regierung zu Biebrich einen Freihafen, in der
freundnachbarlichen Absicht, auch den Rheinverkehr des Mainzer Hafens
an sich zu reißen, und ließ sodann Strombauten ausführen, welche das
Fahrwasser von Mainz hinweg nach dem rechten Ufer ablenken sollten.
Da der Bundestag seine Pflichten gegen die deutsche Schiffahrt
gänzlich verabsäumt hatte, so beruhten alle Rechtsverhältnisse des Rhein—
stroms lediglich auf Treu und Glauben, auf Verträgen zwischen den
souveränen Uferstaaten, und niemand hätte für möglich gehalten, daß
ein deutscher Staat sich erdreisten würde, den vereinbarten Talweg eigen—
mächtig zu verändern. Um so lauter also der Zorn der benachteiligten
Rheinhessen: Die Mainzer tobten: durch die Genehmigung der Taunus—
bahn hätten die „garstigen Hackeln“ — so hießen die Darmstädter Be—
amten nach den Tannenzapfen ihrer Nadelwälder — schon des Unheils
genug angestiftet, nun sollten sie dem goldenen Mainz mindestens sein
altes Fahrwasser retten. Denn die Dampfschiffahrt auf dem Rheine
nahm neuerdings erfreulich zu, Preußen unterstützte sie durch Nachlaß
an den Flußzöllen; schon begann man auch die Mosel mit Dampfern zu
befahren; Anteil zu behalten an diesem neuen Verkehrsmittel, war für
jede Rheinstadt eine Lebensfrage. Die Rheinschiffahrts-Kommission der
Uferstaaten in Mainz vermochte nicht zu helfen; sie bemühte sich seit
Jahren durch treufleißige Verhandlungen, bei denen Nassau und Darm—
stadt stets als die ärgsten Zänker auftraten, einen gemeinsamen Tarif
für die Flußzölle zu vereinbaren, was ihr im Jahre 1845 endlich gelang;
doch eine obrigkeitliche Gewalt besaß sie nicht, sie konnte das souveräne
Nassau nicht zwingen. Die Mainzer durch eine linksrheinische Eisenbahn
zu entschädigen, war auch unmöglich; denn in militärischen Kreisen herrschte
damals die ängstliche Meinung, daß eine Verbindungsbahn zwischen den
großen Rheinfestungen nur den Franzosen die Eroberung des Landes er—
leichtern würde, und noch viele Jahre hindurch blieb die kleine Bonn—
Kölner Bahn die einzige Eisenbahn am linken Ufer.
So geriet du Thil in arge Verlegenheit. Wie verächtlich auch der
bureaukratische Hochmut der Darmstädter „Dienerschaft“ auf die öffent—
liche Meinung herabzublicken pflegte: vor der ungestümen Beredsamkeit
der liberalen Rheinhessen fürchtete man sich doch, denn sie gab auf
den Landtagen oft den Ausschlag. Der hessische Minister versuchte zu—
nächst durch dringende Vorstellungen und Beschwerden die nassauische
Regierung zur Wiederherstellung des alten Talwegs zu bewegen. Als
er immer nur höhnische Antworten erhielt, entschloß er sich endlich, das
Faustrecht zu gebrauchen, und bereitete, mit eifriger Beihilfe der Rhein—
hessen, einen Gewaltstreich vor. In der Nacht des 28. Febr. 1841 fuhr
ein Zug von 103 schweren Rheinschiffen durch die geöffnete Mainzer
Schiffbrücke talwärts; die Schiffer gaben den Festungsbehörden an, daß