Rheinische Zeitung. 201
verlangte nur Ausbau der ständischen Institutionen und, in einem ehr—
furchtsvollen Artikel zum Dombaufeste, Aufhebung der Zensur; sie sprach
mit einem kräftigen preußischen Stolze, wie er am Rhein noch selten war,
und glaubte fest an die große Zukunft Deutschlands, das in Religion
und Literatur dem Weltteil Gesetze gegeben habe und dereinst auch die
Politik Europas beherrschen werde, „so lächerlich das heute klingen möge“.
Die Augsburger Allgemeine Zeitung wehklagte schon: diese erwachende
preußische Presse rede mit einer Zuversicht, als ob ihrem Staate die Hege—
monie in Deutschland gebührte — worauf die Rheinische fröhlich erwiderte:
die preußische Hegemonie ist nur das moralische Übergewicht, das aus
dem Zollvereine, aus dem Geiste des Fortschritts und dem neuen Regie-
rungssysteme entsteht. Wenn die Regierung diese Angst ihrer süddeut-
schen Feinde richtig würdigte, dann mußte sie die übermütige und doch
patriotische Jugend des mächtigen rheinischen Bürgertums durch Nachsicht
zu gewinnen suchen. Der König aber fand den religiösen Radikalismus
der Zeitung frevelhaft; auch ihre scharfen, wohlberechtigten Angriffe wider
das Treiben der rheinischen Ultramontanen erschienen jetzt unbequem, seit
sich der Wind in Berlin gedreht hatte. Darum wurde sie durch Zensur-
striche und Verwarnungen arg mißhandelt. Da ihr Absatz trotzdem sehr rasch
wuchs, so konnte es nicht ausbleiben, daß die Heißsporne unter den jungen
Leuten die Oberhand erlangten: der Referendar Georg Jung, ein eleganter
Lebemann, der die Opposition nach Heines Weise wie einen kurzweiligen
Sport betrieb, und der jüngste unter allen, Karl Marx aus Trier, ein
kräftiger Mann von vierundzwanzig Jahren, dem die dichten schwarzen
Haare aus Wangen, Armen, Nase und Ohren quollen, herrisch, ungestüm,
leidenschaftlich, voll unermeßlichen Selbstgefühles, aber tief ernst und ge-
lehrt, ein rastloser Dialektiker, der mit seinem unerbittlichen jüdischen
Scharfsinn jeden Satz der junghegelschen Lehre bis zu den letzten Folge-
rungen durchführte und jetzt schon durch strenge volkswirtschaftliche Stu-
dien seinen übergang zum Kommunismus vorbereitete. Unter Marxens
Leitung begann die junge Zeitung bald sehr rücksichtslos zu reden;
die Behörden betrachteten sie mit wachsender Besorgnis und hegten sogar
den ganz törichten Argwohn, daß sie von Frankreich bezahlt würde.“)
Die preußis chen Skandalgeschichten der Leipziger Allgemeinen Zeitung
wurden bald gemein und schmutzig; in ihrer aussichtslosen Opposi-
tionsstellung hatten sich die Liberalen ja längst gewöhnt, jeden Gegner wie
einen knechtischen Liebediener zu behandeln, sie verfuhren in der literarischen
Polemik meist unanständiger als die Konservativen, die in den Worten
Maß hielten, weil sie ihre Feinde durch gewaltsamere Mittel niederwerfen
konnten. Mittlerweile waren Ruges Jahrbücher auf ihren dialektischen Irr-
fahrten bei der Selbstkritik des Liberalismus angelangt und stellten die
*) Graf Arnims Bericht an Bülow, Paris, 30. Jan. 1843.