Leipzig und die Regierung. 347
sagte er kurzab, hat eine Sühne nur zu geben, nicht zu fordern; und
noch hochmütiger ermahnte nachher im Landtage Minister Falkenstein
die Leipziger, sie sollten in sich gehen und sich wiederfinden. Die Be—
kanntmachung über die Ergebnisse der kommissarischen Voruntersuchung
erschien erst nach sechs Wochen und enthielt offenbare Unwahrheiten.
Sie begnügte sich nicht mit der ganz unbestreitbaren Versicherung, daß
Prinz Johann das Schießen nicht befohlen hatte, sondern leugnete sogar
feierlich ab, daß er vor dem Feuern einmal auf den Platz hinausgekommen
war — was doch gar nichts zur Sache tat und von dem Prinzen selber
unbefangen eingestanden wurde. Solche liebedienerische Unaufrichtigkeiten
mußten den Verdacht erwecken, daß die Regierung nicht mit gleichem Maße
messe. Auch über das gerichtliche Verfahren nachher verlautete nur wenig
Bestimmtes. Die radikalen Agenten, die wohl sicherlich insgeheim mit-
gewirkt und den blinden Papistenhaß der Massen mißbraucht hatten, hiel-
ten ihr Spiel wohl verdeckt; die zunächst beteiligten Offiziere aber wurden
in der Stille aus Leipzig versetzt.
So ließ die bureaukratische Seelenangst alles im Dunkel, wiewohl sie
eigentlich nichts Fürchterliches zu verstecken hatte. Um so eifriger zeigte
sie sich in kleinen polizeilichen Bosheiten. Mehrere der auswärtigen
Schriftsteller wurden ausgewiesen, sogar der Königsberger Wilhelm Jordan,
der schon das sächsische Staatsbürgerrecht besaß. Unablässig bestürmte
der Dresdener Hof den Berliner um strenge Maßregeln gegen die an-
geblich mitschuldigen Radikalen der Provinz Sachsen, namentlich gegen
die Hallenser Studenten — obgleich ein sofort hinübergesendeter Pedell
keinen einzigen Hallenser in Leipzig auffinden konnte.') Vornehmlich
die Presse bereitete dem sächsischen Hofe schweren Kummer. Die Köl-
nische, die Schlesische, die Magdeburgische Zeitung beeilten sich, ihren
Lesern die Leipziger Mordnacht in greller Beleuchtung, nicht selten mit
groben Entstellungen, vorzuführen. Der sächsische Gesandte Minckwitz
brachte dem Minister in Berlin ganze Stöße ruchloser preußischer Zei-
tungsartikel und bat flehentlich, die Besprechung der Leipziger Ereignisse
ganz zu verbieten oder doch mindestens die Namen der frevelnden Kor-
respondenten zu erforschen. Beides war unzulässig, nach den wahrlich nicht
milden neuen Zensurverordnungen Preußens; auch merkte man in Berlin,
daß die sächsischen Minister Rache nehmen wollten an einigen verdäch-
tigen Schriftstellern in Leipzig. Vier Monate währte dies klägliche Jam-
mergeschrei; dann endete es ohne jedes Ergebnis.)
In solcher Lage begann der neue sächsische Landtag, lärmend und
friedlos. Die Opposition erhob sogleich heftige Anklagen, ihr radikaler
*) Min. v. Zeschau an den Geschäftsträger v. Bose in Berlin, 14. 17. Aug.;
Kurator Pernice in Halle an Eichhorn, 16. 20. Aug. 1845.
**) Verbalnoten an Canitz: von Bose, 20. 26. Aug., von Minckwitz, 10. 27. Sept.
1845 usw. Canitz an Bodelschwingh, 20. Okt. 14. Dez. 1845.