384 V. 5 Realismus in Kunst und Wissenschaft.
sich, dies ganz aus der Fülle geschichtlichen Lebens heraus empfundene,
in seiner Art meisterhafte Gedicht mit einigen schnöden Bemerkungen über
altromantischen Höllenspuk abzutun.
Ganz grundlos war dieser ungerechte Tadel nicht. Die Gegenwart
besaß doch schon zu viel eigenes Leben, sie verlangte mit Recht, ihre eigenen
Empfindungen auch in der Schilderung einer fremden abenteuerlichen Welt
wiederzufinden. Darum vornehmlich hatten Walter Scotts historische
Romane, die allen verständlichen, in Deutschland eine so ungeheuere Ver—
breitung gefunden, obgleich Tieck und die anderen Romantiker den größten
Erzähler des Jahrhunderts kaum zu den Dichtern rechnen wollten. Unter
Scotts zahlreichen Nachahmern waren manche Unterhaltungsschriftsteller
gewöhnlichen Schlages, aber auch der geistreiche Schwabe Rehfues, dessen
Roman Scipio Scicala den dumpfen Druck der spanischen Herrschaft in
Neapel, das wilde Renegatentum der spanisch-türkischen Seekriege, die
gräßliche Entartung des südländischen Priesterlebens so treu und lebendig
schilderte, daß die Klerisei des Rheinlands für nötig hielt, den freimütigen
Dichter aus Bonn zu entfernen.“)
Sie alle überragte Willibald Alexis, ein in Berlin längst heimischer
Schlesier aus hugenottischem Stamme. Er faßte sich das Herz, mit
Scott selbst zu wetteifern, den historischen Roman, so wie es dem
Schotten in seiner Heimat gelungen war, zum modernen National-
epos zu erheben. Die Freude am Erzählen hatte er von den schle-
sischen und französischen Altvordern geerbt; einem bewegten Geschäftsleben
verdankte er eine reiche Menschenkenntnis. Schon 1832, lange bevor die
Historiker sich des gewaltigen Stoffes ernstlich bemächtigt hatten, wagte
er sich in dem Roman Cabanis an das friderizianische Zeitalter; und
nicht bloß der schon von Lessing geschilderte Gegensatz kursächsischer Fein-
heit und preußischer Schroffheit, auch die vielen anderen tragischen Gegen-
sätze jener großen Tage, die engherzige Haustyrannei des Berliner Klein-
bürgertums und die freie Heldengröße des Königs, die eiserne Manns-
zucht des Heeres und die windigen Ränke abenteuernder Diplomaten
erschienen hier lebendig ausgestaltet in Menschen von kräftiger Eigenart.
Dann folgten Romane aus den askanischen und den ersten hohenzol-
lernschen Zeiten, aus den Tagen, da die Reformation in die Marken ein-
zog, endlich aus dem Zeitalter der Fremdherrschaft. Überall echt märkische
Charaktere, knapp und scharf, treu und tapfer, nicht ganz so übermäßig sitt-
sam wie die meisten Helden Scotts, Kerneichengewächs, aus dem sich wohl
das Holz zu einer Großmacht schnitzen ließ. Und wie köstlich war die seit den
Kräutersalat-Versen des guten Schmidt von Werneuchen und dem Spotte
Goethes so viel verhöhnte märkische Landschaft verklärt: die im Abend-
lichte glühenden roten Kiefernstämme, das mittägliche Schweigen der
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