Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

Dichtende Frauen. 387 
saß er selbst wenig naive Dichterkraft. Oft verfuhr er wie ein Gelehrter 
oder ein gebildeter Althändler, der die Prachtexemplare aus seiner Samm— 
lung vorwies und dann die Eigentümlichkeiten dieser merkwürdigen Stücke 
des Menschengeschlechts sinnig betrachtend erläuterte; ja einzelne Bauern 
waren, wenn man sie näher ansah, doch nur verkleidete Juden, denn wo 
das dämmernde Gemütsleben des Volks geschildert werden soll, da läßt 
sich die Stimme der Natur durch alle Kunstfertigkeit niemals ganz ersetzen. 
Dies fühlte man zuerst in der schönheitskundigen Heimat des Dichters 
selbst; Auerbach ist den württembergischen Schwaben, so herzensgut er es 
auch mit ihnen meinte, doch niemals so lieb geworden, wie den badischen 
ihr Hebel, der kein bewußter Künstler war, aber alschristlicher Landpfarrer 
mit dem christlichen Volke gelebt hatte. Nach und nach begann man auch 
wieder zu fühlen, daß die große Leidenschaft, um künstlerisch groß zu er- 
scheinen, eines weiten Hintergrundes bedarf, tragische Kämpfe in der Enge 
des Dorflebens meist quälend und bedrückend wirken, weil die scheußliche 
Prosa des Zuchthauses oder der rohen Mißhandlung immer dahinter lauert. 
Man erkannte allmählich, daß die bewunderten Naturkinder aus dem nie- 
deren Volke, gebunden wie sie sind durch starre Sitten und Ehrbegriffe, oft 
weniger frei, weniger menschlich empfinden als die Gebildeten, und der 
Dorfgeschichte mithin in der Romandichtung nur die Stelle gebührt, die 
ihr Immermann von Haus aus angewiesen hatte, die Stelle einer be- 
scheidenen Episode. Auerbach selbst blieb nur auf diesem seinem eigensten 
kleinen Gebiete schöpferisch; was er darüber hinaus versuchte, mißriet. 
Iln der beständig wachsenden Schar der Poeten gelangten auch einige 
Frauen zu Ansehen. Ganz im Geiste der demokratischen Aufklärung schrieb 
Fanny Lewald, eine vielseitig gebildete ostpreußische Jüdin von klarem, 
gradem Verstande, arm an Phantasie, mehr zur Kritik befähigt und zum 
sicheren Beobachten als zum künstlerischen Gestalten, dabei menschenfreund- 
lich, treu bemüht um die geistige und wirtschaftliche Hebung des weib- 
lichen Geschlechts, bürgerlich achtbar und wohlanständig. Nur zuweilen 
verriet sich bei ihr eine dem deutschen Gemüte unverständliche Empfin- 
dungsweise: ganz unbefangen erzählte sie, wie ihr hochverehrter Vater nach 
dem Rückzuge der Franzosen aus Moskau den elenden Flüchtlingen das in 
Rußland geraubte Kirchensilber abgekauft und in seiner Silberschmelze ver- 
jüngt hatte. In dem Tendenzromane Jenny verfocht sie die Emanzipation 
ihrer Stammgenossen, nicht ohne Geschick, aber auch nicht ohne gemachten 
und gezierten Judenschmerz; sie besaß das Talent, alle Dinge nur von einer 
Seite zu sehen, — jene gefährliche Gabe, welche die Juden zu so brauchbaren 
Rechtsanwälten macht. Wenn die Verlobung ihrer freigeisterischen, ohne 
Erfolg getauften Heldin mit einem gläubigen evangelischen Theologen noch 
zur rechten Zeit wieder auseinander ging, so war dies doch sittlich notwendig, 
heilsam für beide Teile, durchaus kein Beweis christlicher Unduldsamkeit; 
und wenn dieselbe reiche Jüdin schmelzend klagte: o Vaterland süß, Vater- 
25*
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.