Hebbel. 393
die höchsten Ziele, suchte stets große sittliche Probleme dramatisch zu ge—
stalten und entsprach dem realistischen Zuge des Zeitalters durch die un—
erbittlich strenge, folgerechte, alle Phrase vers chmähende Durchbildung seiner
Charaktere. Aber sein Schaffen war zu bewußt, seine Gestalten selbst wußten
sich zu viel mit ihrer Eigenart, jedes ihrer Worte klang so scharf berechnet,
daß ihnen die naive Freiheit, der Reiz des Unmittelbaren verloren ging;
und obwohl die gedrungene Komposition, die mächtig aufsteigende Handlung,
der erschütternde Schluß einen starken theatralischen Erfolg zu erzwingen
schienen, so fehlte ihm doch der Sinn für das Gemeinverständliche, der
alle Bühnenwirkung bedingt; die krankhaften, verschlungenen, bis zur Un-
geheuerlichkeit seltsamen Seelenkämpfe, die er darzustellen liebte, konnten
schlichte Hörer nur befremden. Verwirrend und berauschend wirkte sein
erstes Drama Judith. Hebbel fühlte scharf heraus, daß diese von dem naiven
Gattungsgefühle des Altertums schlechthin bewunderte epische Heldin uns
Modernen als eine tragische Gestalt erscheinen muß, weil unser freies
christliches Gewissen die blinde Hingebung des einzelnen an das Volks-
ganze nicht mehr für eine unbedingte Pflicht ansieht, und erregte nun in
der Seele des gräßlichen Weibes einen Sturm widersprechender Empfin-
dungen, aus denen die nervöse Sinnlichkeit des Zeitalters zuletzt so über-
mächtig hervortrat, daß ein reines tragisches Mitleid nicht mehr aufkam.
Sein wirksamstes Drama war Maria Magdalena, ein bürgerliches
Trauerspiel, das durch die Wucht der Leidenschaft, die gewaltsame Span-
nung lebhaft an Kabale und Liebe erinnerte. Hier wagte Hebbel aus der
Not eine Tugend zu machen; er wagte „die schreckliche Gebundenheit in der
Einseitigkeit“", — jene Klippe, woran so viele bürgerliche Dramen und
Dorfgeschichten scheiterten — selber zum Mittelpunkt des tragischen Kamp-
fes zu erheben. An der Grausamkeit der kleinbürgerlichen Ehrbegriffe ließ
er seine Heldin untergehen, und in dem harten, borstigen Meister Anton
schuf er eine Gestalt, die sich dem alten Miller vergleichen durfte. Aber
auch hier blieb zuletzt kein reiner Eindruck zurück, weil die Schuld der
Heldin so unnatürlich, so seltsam erklügelt war. Nachher zog sich Hebbel
verstimmt von der Bühne zurück, in eine bewußte und gewollte Verein-
samung, die dem Dramatiker stets verderblich wird. Umgeben von einer
kleinen Schar fanatischer Verehrer, die seinen Hochmut bis zum Über-
maße steigerten, brütete er lange über einer neuen, unmöglichen Kunstform,
der Tragikomödie. Erst nach vielen Jahren qualvollen Ringens fand
er den Glauben an einfachere Ideale wieder und die Kraft zu dauernden
Werken — ein großangelegter, tiefsinniger Dichtergeist, ein echter Sohn
dieser Hohes suchenden, wenig vollendenden Tage.
Die rechte Herzensfreudigkeit des glücklich schaffenden Dichters besaß
unter allen den neuen Dramatikern nur einer, der Schlesier Gustav Freytag.
Wie tapfer und bewußt er auch teilnahm an allen den geistigen und poli-
tischen Kämpfen seiner hoch erregten Zeit, immer bewahrte er sich doch jene