Rankes Reformationsgeschichte. 413
selbständiger Landeskirchen im Reiche, zuerst von den Altgläubigen aus—
gegangen und die Evangelischen dem verhängnisvollen Beispiele der Gegner
nur gefolgt waren? Auch hier behielt Ranke die Universalgeschichte stets
im Auge; doch da zu Luthers Zeiten die den Weltteil beherrschende
religiöse Bewegung in Deutschland entsprang „und zwar in der echten
reinen Tiefe und eingeborenen Macht des deutschen Geistes“, so konnte
er diesmal bei den Zuständen des Vaterlandes behaglich verweilen. Daß
sein neues Werk in künstlerischer Abrundung der Geschichte der Päpste
nicht ganz gleich kam, gestand er selbst; denn unter allen historischen
Stoffen ist keiner so tiefsinnig, aber auch keiner so formlos wie die deutsche
Geschichte. Auch fühlte sich Rankes aristokratische Natur an den feinge—
bildeten Höfen Italiens offenbar heimischer als in dem vollsaftigen, derb
humoristischen, bis zur Unfläterei männischen Volksleben unseres sech—
zehnten Jahrhunderts. Die Massenbewegungen blieben ihm unheimlich;
der Vernunft, die in den wilden sozialen Leidenschaften des Bauernkrieges
lag, wurde er nicht ganz gerecht.
Er äußerte zuweilen: ich möchte mein Selbst auslöschen, wenn ich
die Dinge genau so sehen könnte, wie sie waren; und geistlose Schüler,
die kein Selbst zu verlieren hatten, beeiferten sich dies Wort, das eben
nur den tiefen Wahrheitsdrang des Meisters drastisch aussprach, wohlge—
fällig umherzutragen, gleich als ob sie damit ihre eigene Blöße verdecken
könnten. Doch unzweifelhaft wollte er nicht im Ernst behaupten, das
physisch Unmögliche und sittlich Verwerfliche sei ein wissenschaftliches Ideal.
In der Reformationsgeschichte war sein Selbst mit nichten ausgelöscht;
seine warme und tiefe evangelische Überzeugung verleugnete sich nirgends,
und obschon ihm der konservative alte Luther unverkennbar teuerer war
als der radikale Himmelsstürmer der ersten Wittenberger Zeiten, so zeich-
nete er doch die sittliche Größe der deutschen Reformatoren mit so sicherem
Verständnis, daß die Ultramontanen ihn seitdem immer als einen gefähr-
lichen Feind gehaßt haben. Eine einfache Stufenfolge menschlicher Entwick-
lung schien ihm, wie seinem königlichen Freunde, unvereinbar mit der Ge-
rechtigkeit Gottes, und wiewohl er zugab, daß die unerforschliche Schöpfer-
kraft der Geschichte edle und unedle Völker, hoch und niedrig begabte Gene-
rationen, darum auch große und kleine Zeiten hervorbringt, so blieb es
doch sein Lebensglück, in jeder Zeit einen Strahl der göttlichen Vernunft
aufzufinden. Diese recht eigentlich fromme Überzeugung gab allen seinen
Werken einen Zug ruhiger Weisheit.
Die Ausländer fanden es fast unbegreiflich, daß gerade ein deutscher
Gelehrter unternahm, eine bisher ganz der Gottesgelahrtheit anheimgegebene
Epoche politisch zu beurteilen. Daheim erlangte Ranke erst durch dies Werk
die Stellung, welche ihm in der Weltliteratur schon durch die Geschichte
der Päpste gesichert war. Allgemein war die Bewunderung freilich auch
jetzt noch nicht. Wenn ein Buch erscheint, das nur einer schreiben konnte,