Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

448 V. 6. Wachstum und Siechtum der Volkswirtschaft. 
vertrag, der ihm den Anschluß an den Zollverein auf Jahre hinaus un— 
möglich machte. Großbritannien gewährte der hannoverschen Flagge einige 
Begünstigungen, auch für die indirekte Fahrt, und erlangte für seine 
Schiffe eine Ermäßigung des berüchtigten Stader Elbzolles, den die Han— 
noveraner soeben wieder, auf den Dresdener Elbschiffahrtskonferenzen von 
1842, hartnäckig als einen Seezoll gegen ihre deutschen Landsleute be— 
hauptet hatten. Also blieb das deutsche Welfenkönigreich, auch nachdem 
es sich von der englischen Krone getrennt hatte, noch immer ein Brücken— 
kopf der britischen Handelspolitik auf dem Festlande. — 
  
Den dürftigen Erfolg dieser Verhandlungen mit den Welfenhöfen 
empfand man in Berlin sehr peinlich; denn Preußens Ansehen im Zoll— 
vereine war ohnehin schon erschüttert durch einen wirtschaftlichen Partei— 
kampf, der 1841 durch Lists Buch „das nationale System der politischen 
Okonomie“ eingeleitet wurde. Die einfache, damals noch viel verkannte 
Wahrheit, daß die Volkswirtschaftslehre eine historische Erfahrungswissen— 
schaft ist und folglich auch mit den praktischen Erfahrungen der Gegen— 
wart in beständiger Wechselwirkung steht, ließ sich gerade in dem Deutsch- 
land dieser Tage mit Händen greifen. In allen anderen Wissenschaften 
hatten wir uns längst unsere eigene Bahn gebrochen; nur die National- 
ökonomie verharrte noch in einem seltsamen Anachronismus, sie folgte noch 
fast blindlings den Lehren des Auslands, weil unser Wohlstand noch so 
jung, selbst die Einheit des nationalen Marktes noch nicht ganz errungen 
war, große wirtschaftliche Parteien sich erst zu bilden begannen. 
Die sensualistische Philosophie der Schotten war in Deutschland nie zu 
allgemeinem Ansehen gelangt und schon durch Kant wissenschaftlich über- 
wunden. Gleichwohl herrschte in der deutschen Volkswirtschaftslehre noch 
die Lehre Adam Smiths, die doch mit dem Sensualismus stand und 
fiel; sie war seitdem durch Ricardo und Say mit einseitiger Härte weiter- 
gebildet worden und durch Bastiats lebendige populäre Schriften auch 
in weitere Kreise eingedrungen. Sie hatte einst, da es galt, die alte 
feudale Gesellschaftsordnung zu zerstören, als eine zeitgemäße, befreiende 
Macht gewirkt;z jetzt lebte sie auf den deutschen Kathedern nur noch fort 
als einc gedankenlose Tradition. Ganz nach der unlebendigen Methode 
des alten Naturrechts, die doch längst kein tüchtiger Jurist mehr gelten 
ließ, pflegte der Nationalökonom seine Sätze in logischer Folge abzuleiten 
aus der Abstraktion des billig kaufenden und teuer verkaufenden Einzel- 
menschen. Aus dem Kampfe der Selbstsucht dieser Einzelwesen, aus dem 
freien Spiele der sozialen Kräfte sollte dann ganz von selbst die Har- 
monie aller Interessen, die gerechte und vernünftige Ordnung der Gesell- 
schaft hervorgehen; der tierische Trieb des Eigennutzes vollbrachte mithin
	        
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