Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

W. Roscher. Das Zollvereinsblatt. 451 
bildet für seine reiche Gelehrtentätigkeit. Er wollte der Nationalökonomie 
das historische Verständnis erwecken, das die Rechtswissenschaft den Werken 
Savignys, Eichhorns, Niebuhrs verdankte. In einem kleinen Grundriß 
für Vorlesungen (1843) zeichnete er zuerst die Umrisse seiner historischen 
Methode; er faßte die Volkswirtschaft als eine Welt des Werdens auf 
und suchte überall zu zeigen, daß die Theorie nur relative Wahrheiten 
finden kann, daß dieselben Institutionen, die das jugendliche Volk erheben, 
dem gereiften zur Fessel werden. Ein Gelehrter von ausgebreitetem Wissen, 
ebenso bescheiden, gerecht, friedfertig, wie List trotzig, parteiisch, kampflustig 
war, stimmte Roscher auch in dem Streite des Tages keineswegs mit dem 
schwäbischen Agitator überein, da er den freihändlerischen Gedanken weit 
näher stand. Gemeinsam war den beiden nur der historische Sinn und 
die Erkenntnis der sittlichen Mächte des wirtschaftlichen Lebens. Wäh— 
rend Lists Buch einen leidenschaftlichen Parteikampf entzündete, machte 
Roschers Grundriß langsam, ganz in der Stille seinen Weg; aus den 
Anregungen, die hier zuerst gegeben wurden, ging nach und nach eine 
neue, realistisch-historische Auffassung der Volkswirtschaft hervor, und es 
entstand im Laufe der Jahre eine deutsche nationalökonomische Schule, 
die fest auf eigenen Füßen stehend sich dem Auslande bald überlegen 
zeigte. 
List säumte nicht, die Silberbarren seines „Nationalen Systems“ in 
kleine Münzen umzuprägen. Er gründete (1843) das Zollvereinsblatt, 
und um das Banner dieser streitbaren Zeitschrift scharte sich bald die 
gesamte Schutzzoll-Partei des Südens, vornehmlich der junge Stand der 
Fabrikanten und Techniker, der viele auf den neuen Gewerbschulen gut 
gebildete, tüchtige und rührige Männer in seinen Reihen zählte. In 
Baden drang die Bewegung tief ins Volk, weil dort die neuen Fabriken 
meist durch Aktiengesellschaften gegründet waren, viele Bauern und kleine 
Bürger sich am Aktienkaufe beteiligt hatten. Manche Forderungen der 
Partei waren sachlich wohl begründet, doch unverkennbar wirkte auch die 
kleinstädtische Weltanschauung mit. Preußens soziale Freiheit blieb den 
Süddeutschen noch versagt, und wie sie gewohnt waren, für Heirat und 
Niederlassung stets die Genehmigung der Obrigkeit einzuholen, so erwar— 
teten sie auch in der Handelspolitik alles Heil von oben. In Württem— 
berg zeichnete sich der Eßlinger Fabrikant Deffner durch seinen Eifer aus, 
in der badischen Kammer der feurige Redner Sander, am Rhein Berg— 
rat Böcking zu Saarbrücken. Das mächtige Bankhaus Haber in Karls— 
ruhe versorgte einen großen Teil der süddeutschen Zeitungen mit schutz- 
zöllnerischen Korrespondenzen, auch Cotta stellte die Allgemeine Zeitung 
und die Deutsche Vierteljahrsschrift der Schutzzoll-Partei zur Verfügung. 
Nicht lange, so galt es im Süden für ausgemacht, daß jeder Liberale 
ein Schutzzöllner, jeder Freihändler ein Reaktionär sein müsse. Wieder 
einmal zeigte sich, daß List wohl aufregen und beleben, doch nicht Maß 
29 *
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.