488 V. 6. Wachstum und Siechtum der Volkswirtschast.
Am lautesten aber erklang der Ruf nach einer deutschen Kriegs—
flotte. Vor einem Menschenalter noch hatte es jedermann ganz in der
Ordnung gefunden, daß Preußen die in Antwerpen erbeuteten französischen
Kriegsschiffe, als unnütz für Deutschland, einfach den Engländern schenkte;
dann waren am Bundestage einmal einige verlorene Worte gefallen über
die Ausrüstung deutscher Kriegsschiffe gegen die Barbaresken.“) Jetzt end—
lich, seit der Zollverein das nationale Selbstgefühl gekräftigt hatte, er—
kannten die Deutschen mit Scham, welche lächerliche Rolle ihre waffen—
gewaltige Landmacht auf den Meeren spielte. Leider waren die Verhält—
nisse den patriotischen Flottenplänen sehr ungünstig. Die Hansen, die auch
in ihren überseeischen Kommanditen mit den Zollvereinsfirmen sehr
schlechte Nachbarschaft hielten, hatten sich durch kaufmännisches Geschick
eine leidliche Stellung in den meisten Staaten des Auslands gesichert, und
da sie noch ganz in den überlieferungen der alten unwürdigen Neutra—
litätspolitik befangen waren, so fühlten sie gar nicht, daß sie doch nur
von der Gnade der Fremden lebten. Der Kaufmannsgeist ertötete den
nationalen Stolz; an der Hamburger Börse bezweifelte niemand, daß eine
deutsche Kriegsflotte den friedsamen Handel der Hansen nur stören könne.
Dem preußischen Staate aber war der Sinn für den Wert der Seemacht
allmählich ganz abhanden gekommen, da er seine kriegerische Kraft zu
Lande, um Deutschlands willen, so übermäßig anspannen mußte.
Das Wasser ist bekanntlich nicht unser Element — so sagte ein tüch—
tiger Offizier in einer Denkschrift über die Flottenfrage. Mit Neuvor—
pommern hatte Preußen auch einige schwedische Ruderschaluppen im
Strelasunde übernommen; dazu noch zwei leibhaftige Seeoffiziere, die auf
der Berliner Parade manchmal als ergötzliche Wundertiere Aufsehen er—
regten. Unter dem alten Könige wurde der Plan einer Küstenflotte oft und
gründlich erwogen, die Sparsamkeit der Minister vereitelte jedoch alle
Hoffnungen. Der neue Monarch hatte als Kronprinz lange das pommersche
Armeekorps befehligt und in Stettin den alten Oberpräsidenten Sack oft
beweisen hören, daß sein Pommern nicht bloß des Küstenschutzes, sondern
einer starken, die Ostsee beherrschenden preußischen Flotte bedürfe. Sacks
Lehren fielen auf fruchtbaren Boden; Friedrich Wilhelm wurde seit dem
großen Kurfürsten der erste Hohenzollersche Herrscher, der wieder ein
Verständnis für die See zeigte. Freilich bloß das Verständnis des geist-
reichen Dilettanten.
Zur Zeit lebte in Preußen nur ein einziger vornehmer Mann,
der das Seewesen in großem Sinne und mit dem Ernst des Fachmanns
betrachtete: Prinz Adalbert, der General-Inspekteur der Artillerie. Wie
oft entscheiden Jugendeindrücke über ein ganzes Leben. Als Prinz Adal-
bert zu Fischbach am Fuße des Riesengebirges, unter den Augen seiner
*) S. v. II. 175.