Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

Verschiebung der alten Allianzen. 527 
kann Österreich auf Rußland zählen“ —“*) ein Versprechen, das er zwölf 
Jahre später ritterlich einlöste. Doch ein rückhaltloses Vertrauen zu Met- 
ternich hatte er nie gehegt, weil er ihm, sicherlich mit Unrecht, eine ge- 
heime Mitschuld an dem Dekabristenaufstande und der polnischen Revo- 
lution beimaß. Neuerdings fühlte er sich auch persönlich verletzt. Er 
wünschte, seine schöne Tochter Olga mit dem geistreichen jungen Erzherzog 
Stephan zu verheiraten, und sendete deshalb sogar seinen Vertrauten 
Orlow an die Donau (1844); der österreichische Hof aber verlangte, 
stolzer als die deutschen protestantischen Fürsten, daß die Großfürstin 
zur katholischen Kirche übertreten müsse. Daran scheiterte alles, und 
Nikolaus sah sich, da das Geheimnis schlecht gewahrt wurde, ärgerlichen 
hämischen Nachreden ausgesetzt. *) Gegen Frankreich bewahrte er noch 
den alten Groll, und seinem preußischen Schwager traute er wenig, schon 
wegen der reichsständischen Pläne; überhaupt hatte Preußen das hohe 
Ansehen, das ihm der alte König in den letzten Jahren verschafft, längst 
eingebüßt, keine der großen Mächte bemühte sich ernstlich um die Freund- 
schaft des unberechenbaren neuen Monarchen. 
Für die orientalischen Entwürfe, die den Zaren noch immer unaus- 
gesetzt beschäftigten, erschien ihm England als der einzige wertvolle Bundes- 
genosse; war diese Macht gewonnen, dann folgten die beiden Ostmächte 
von selbst und Frankreich blieb wieder zur Seite liegen. Schon zweimal, 
in den Tagen der Navariner Schlacht und soeben wieder durch Brunnows 
Sendung, hatte er die Briten zur Mitwirkung bei seiner orientalischen 
Politik verführt; er traute sichs zu, nunmehr auch eine Verständigung 
über die Zukunft des osmanischen Reiches zu bewirken. Bald nach dem 
Meerengen-Vertrage überraschte er die Hofburg durch die Anfrage, ob man 
nicht wohl tue, dem englischen Hofe einen Beweis rückhaltlosen Ver- 
trauens zu geben: der geheime Münchengrätzer Vertrag, der die beiden 
Kaisermächte verpflichtete, beim Untergange der Türkei nach gemeinsamem 
Plane zu handeln, sollte dem Londoner Kabinett mitgeteilt werden.) 
Metternich aber widersprach; er fürchtete offenbar, eine solche unerwartete 
Aufrichtigkeit würde den Argwohn der Briten nur verschärfen, und über- 
dies hatte er ja selbst jenem Vertrage nur zugestimmt, um Rußland im 
Oriente zu überwachen. Darauf entschloß sich Nikolaus, durch den Zauber 
seiner persönlichen Erscheinung zu wirken. Im Mai 1844 verbreitete sich 
zu Petersburg das Gerücht, der Zar beabsichtige eine große Reise. Ehe 
man noch etwas über das Ziel der Fahrt vernahm, erschien er schon 
  
*) Brunnow, Aperçu général de nos relations avec les puissances de P’Europe 
Ich kenne aus diesem Apercu nur einige Zitate, welche V. Hehn in seiner Denkschrift 
„Einblick in die Auswärtige Politik des Kaisers Nikolaus“ (Petersburg, März 1857) mit- 
teilt. 
**“) Liebermanns Berichte über Orlows Sendung, 6. Febr. 1844 ff. 
***) S. o. IV. 330.
	        
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