Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

530 V. 7. Polen und Schleswigholstein. 
Tummelplätzen des internationalen Ränkespiels. Was mußte das unglück- 
liche Griechenland leiden unter dem ewigen Gezänk der drei Mächte, die 
sich wie zum Hohne die puissances créatrices, die Erzeuger des jungen 
Königreichs nannten. Dem Zaren war die Selbständigkeit des Rebellen- 
staates und seines katholischen Herrscherhauses von vornherein wider- 
wärtig. Dem König Otto hatte er selbst durch die Zusendung eines kaiser- 
lichen Generaladjutanten, die doch sonst überall im Oriente als unfehl- 
bares Überredungsmittel wirkte, nicht für die orthodoxe Kirche zu ge- 
winnen vermocht; und seit der Kronprinz von Bayern gar die Hand 
seiner Tochter Olga verschmäht hatte 7), hegte er einen tiefen Groll gegen 
alle Wittelsbacher. 
Auch wußte die wohl erfahrene russische Diplomatie genau, daß ein 
großer nationaler Staat auf der Balkanhalbinsel, wenn er überhaupt 
möglich war, nur durch das hellenische Volkstum geschaffen werden konnte. 
Welche Lebenskraft bewährte doch immer noch, trotz der starken Blutver- 
mischung und trotz der politischen Ohnmacht dies unverwüstliche Hellenen- 
tum, das einst sogar gegen die weltherrschende Roma seine Kultur im Ost- 
becken des Mittelmeeres behauptet hatte. Die meisten der großen Kaufleute 
in den Hafenplätzen des Osmanenreiches waren Griechen; sie arbeiteten, 
wagten und sparten, derweil die Türken in Trägheit verkamen; sie bildeten 
eine große stille Verschwörung mit den Landsleuten im kleinen Mutter- 
lande, die beständig eine Erweiterung ihrer unerträglich engen Grenzen ver- 
langten. Selbst die zäheste Nationalität des Abendlandes, die italienische, 
widerstand ihnen nicht, alle die alten venetianischen Geschlechter auf den 
ionischen und den kykladischen Inseln wurden nach und nach zu Byzantinern. 
Da der Zar sich selber als den rechtmäßigen Erben des Doppeladlers von 
Byzanz betrachtete, so sah er sich demnach gezwungen zu einer arglistigen 
Politik, welche, sobald sie durchschaut war, die Hellenen mit unauslösch- 
lichem Groll erfüllen mußte. Er ließ einerseits, um die Türkei zu schwächen, 
die ohnmächtige Ländergier der Griechen insgeheim aufstacheln und suchte 
andererseits die Macht des jungen Königtums zu untergraben. Dies 
Doppelspiel betrieb mit unheimlicher Gewandtheit der russische Gesandte 
Katakazi, ein Grieche, der sich der besonderen Gunst Nesselrodes erfreute.?) 
Katakazi unterhielt geheimen Verkehr mit der orthodoxen Partei der Nap- 
pisten, die ihre begehrlichen Blicke zunächst auf Thessalien warf; seine 
Berichte sprachen mit äußerster Geringschätzung von König Otto, von 
dessen Umgebung, von dem gesamten griechischen Staatswesen.) 
Ebenso feindselig zeigte sich England, freilich aus ganz verschiedenen 
Gründen. Sämtliche Parteien des Inselreichs, vor allen die Whigs, 
glaubten jetzt wieder an die Unantastbarkeit der Osmanenherrschaft; die 
*) S. o. IV. 536. 
**) Liebermanns Bericht, 21. Nov. 1843. 
*7#) Katakazis Berichte, 26. April, 27. Mai 1842 ff.
	        
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